Neglect Ch. 02

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WELCOME TO MALIBU, BIATCH!

okay, houston und malibu mag es zwar tatsächlich geben, aber die meisten orte (wohnungen, bars, discotheken, restaurants, etc. ) in dieser geschichte entspringen meinen fantasiewelten. es gibt diverse rückblenden, die hoffentlich nicht allzu arg verwirrend sind. &bitte entschuldigt diese ewiglange wartezeit x_X

ich wünsch euch viel spaß beim lesen!

AMEN, SHE PRAYED.

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NEGLECT part 2.

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Always toward absent lovers love's tide stronger flows

– Sextus Propertius, lateinischer Dichter der Augusteischen Liebeselegie

* * *

Das Leben hatte manchmal eine etwas seltsame Art von Humor.

Seufzend lehnte Zane die Stirn in seine Handflächen.

Der texanische Spätsommer hatte augenscheinlich beschlossen, einer der Heißesten der amerikanischen Geschichte zu werden. Aber damit konnte Zane leben.

Irgendwie. Die Hitze, die sich tagsüber in den Straßen staute und nicht einmal nachts merklich herunterkühlte, bewegte sich gerade noch so im Rahmen des Erträglichen.

Aber das war fast nebensächlich: Irgendwer — und Zane verfluchte den Verantwortlichen dafür bis aufs Äußerste — schien es lustig gefunden zu haben, ihn einer unscheinbaren, wenn auch nicht ganz irrelevanten Fehlannahme erliegen zu lassen.

Und zwar eine, die seinen neuen Mitbewohner in seiner kleinen Wohnung im verschlafenen Bezirk Afton Oaks betraf, einem hübschen, wenn auch etwas verschlafenen Vorort von Houston.

Afton Oaks galt als die Wohngegend für Erwachsene, die nie aufgehört hatten, Studenten zu sein. Für Zanes Geschmack war die Gegend nach wie vor viel zu vornehm, aber immerhin weniger prunkvoll als sein ehemaliges Zuhause in Malibu, Los Angeles County, Kalifornien.

Der düstere Charme der endlosen Bars und Restaurants in den Straßen der kleinen Stadt gefiel Zane, und die lockere Einstellung der Menschen, die hier lebten, verwunderte und faszinierte ihn gleichermaßen.

Er selbst nannte ein helles, wenn auch wenig geräumiges Zimmer in einer kleinen Zwei-Personen-Wohngemeinschaft sein neues Zuhause: Zwei vollgestopfte Räume, eine etwas gammelige Küche im Siebzigerjahre-Chic und ein fensterloses Badezimmer mit Dusch-Badewanne teilten Zane und Jules sich seit nunmehr knapp einer Woche. Ihre gemütliche Unterkunft befand sich am Rand der Stadt etwas abseits von öffentlichen Straßenverkehrsmitteln gelegen, im fünften Stock eines leicht heruntergekommenen Mehrfamilienhauses.

Es war genau das, was Zane gewollt hatte: Schlicht, ein bisschen schäbig, aber erträglich.

Sehr erträglich, wie er zufrieden festgestellt hatte, kaum dass er sein Zimmer zum ersten Mal näher in Augenschein genommen hatte. Es war ein kompletter Kontrast zum prunkvollen Caploe-Anwesen am Rande Malibus in Strandnähe, umgeben von weitläufiger Landschaft, gesäumt mit den paradisischsten Gärten von ganz Los Angeles County und einer Auffahrt samt schmiedeeisernem Tor, wie sie ein Märchenschloss nicht zauberhafter besitzen könnte.

Das Caploe-Anwesen war ein goldener Käfig. Nein, Korrektur: Es war sein goldener Käfig gewesen.

Das hatte er hinter sich gelassen.

Er hatte es kaum erwarten können, endlich fortzugehen. Und nun lebte er 1. 563 Meilen von Malibu entfernt, und er hatte an sich auch jeden erdenklichen Grund, hier glücklich zu sein.

Seine Eltern würden hier ganz bestimmt nicht aufkreuzen. Nicht, dass sie sich jemals groß dafür interessiert hätten, was ihr aus der Art geschlagener Sohn so alles tat und ließ… Sie waren ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Ehe zu ruinieren.

Seine Mutter mit ihrer Karriere, sein Vater mit seinen Affären. Ava und James Caploe hatten sich nie an seinem Leben beteiligt, und vielleicht war das auch ganz gut so.

Aber was noch viel wichtiger war: Auch seine wenige Minuten jüngere Zwillingsschwester Alexa würde nicht wagen, ihn hier heimzusuchen.

Alexa Caploe war sein Gegenpol. Ein extremer Kontrast zu allem, was ihren Bruder Zane Caploe ausmachte. Sie verkörperte alle Charakterzüge der typische Malibu-Barbie: Shoppingsüchtig, materialistisch und gesegnet/verflucht mit einer Schwäche für Mommys Kreditkarten und Daddys schicken Sportflitzer.

Eigentlich hinreichend Gründe für Zane, seine Schwester zu meiden.

Doch jedes Mal, wenn ihre Welten kollidierten, dann erschütterte ein tiefes, gut geschürtes Verlangen ihn bis in seine Seele. Es hatte ihn Überwindung gekostet, sich einzugestehen, was es damit auf sich hatte: Er begehrte sie, seine eigene Zwillingsschwester.

Zane wusste, dass es das Vernünftigste war, seine Schwester zu meiden. Die Gefühle, die sie in ihm wachrief, waren nicht normal.

Aber seine Begierde nach ihr war stärker als er, und eines sommerlichen Frühmorgens im Juni hatte er die Kontrolle über sich verloren und seine Schwester verführt.

Es war ein Fehler gewesen, das wusste Zane. Ein unverzeihlicher Fehler. Er hatte eine Grenze überschritten, die er niemals auch nur hätte berühren dürfen. Also hatte er die logischen Konsequenzen gezogen und war fortgegangen. Nicht, dass er das nicht ohnehin geplant hatte…

Und dennoch konnte Zane nicht aufhören, permanent an seine Schwester zu denken… Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann fehlte sie ihm.

Sie fehlte ihm schrecklich.

Es hatte ihm damals nächtelang den Schlaf geraubt, dass sie nur eine Wand weiter auf ihrer weichen Federkernmatratze in ihre hauchdünnen Decken gekuschelt lag, halbnackt, dieser verzückt-zufriedene Ausdruck in ihrem engelsgleichen Gesicht mit der etwas zu stupsig geratenen Nase und den lustigen Sommersprossen.

Er begehrte sie. Er wollte sie. So sehr, dass es anfing, ihn psychisch zu quälen.

Wie oft hatte er von ihr fantasiert, es sich in seinen verwegensten Träumen erlaubt, sie auf ihrem Bett niederzulegen und ihr ganz langsam jedes Stück an Kleidung auszuziehen, das sich an ihren Leib schmiegte?

Wie oft hatte er Alexas Freund zum Mond gewünscht, weil dieser tumbe Hohlkopf von Mann sich einfach nehmen durfte, was Zane so sehr wollte?

Wie oft hatte ihn der Gedanke gequält, dass sie mit einem Anderen schlief, während er sie so sehr nach ihr verzehrte? Wie oft hatte er deswegen schlaflos auf seinem Bett gelegen und die Wand angestarrt, während sich Alexa eine Wand weiter in die Arme eines Anderen schmiegte?

Ihretwegen hatte Zane den Sommer fernab von Malibu bei seiner Tante Maddison in La Grange in Fayette County verbracht, knapp hundert Meilen von seinem neuen Zuhause in Houston entfernt.

Er hatte Abstand von Alexa gebraucht. So viel wie irgend möglich. So schnell wie nur möglich.

Also hatte er nicht lange über das Angebot nachgedacht, als Maddison ihn irgendwann Ende Juni fast beiläufig am Telefon gefragt hatte, ob er vielleicht Lust hätte, ihr den Sommer über Gesellschaft zu leisten.

Maddison Strokesberry, die jüngere Schwester von Zanes und Alexas Mutter, lebte allein auf einer kleinen, gemütlichen Farm etwas außerhalb der knapp fünftausend Einwohner zählenden Stadt La Grange, backte den besten Apfelkuchen ganz Amerikas und hatte ihren Neffen gelehrt, wie man Schafe scherte, Hühner fütterte und auf Pferderücken ritt.

Das Leben auf ihrer Farm war anstrengend gewesen, aber gleichzeitig hatte Zane sich so frei wie selten zuvor gefühlt. Die harte Arbeit machte ihm nichts aus, und während er den Pferdestall ausmistete, Sättel fettete, abgenutzte Zaumzeuge ausbesserte und Koppelzäune reparierte, hatte er selten Gelegenheit, an seine Zwillingsschwester zu denken. Und an das, was sie getan hatten.

Zwei wunderbar nach Abenteuer schmeckende Monate hatte Zane bei Maddison verlebt.

Er hatte gelernt, mit dem Sonnenaufgang aufzustehen, war abends mit bleischweren Gliedern todmüde ins Bett gefallen und hatte nie groß darüber nachgedacht, mit welch schläfriger Zufriedenheit es ihn erfüllte, nach getaner Arbeit jeden einzelnen Muskel im Körper spüren zu können.

Zane Caploe hatte in diesen zwei Sommermonaten in La Grange gelernt, das einfache Farmleben zu lieben und jeden Tag so zu nehmen, wie er kam.

Maddison war es auch, der er seine Studentenunterkunft verdankte.

Sie hatte ihm großzügig angeboten, ihm bei seiner Suche nach einer kleinen Wohnung samt Mitbewohner etwas außerhalb Houstons zu helfen, und an einem sonnigen Morgen auf ihrer Farm hatte sie Zane die Morning Post in die Hand gedrückt und mit einem Lächeln auf eine rot umkreiste Anzeige gedeutet: Mitbewohner gesucht für eine Zwei-Personen-WG in freundlicher Lage in Universitätsnähe am Rande von Afton Oaks, Houston, TX 77027.

Zanes Mitbewohner Julian „Jules“ Silverman stammte aus Lake Village, Arkansas, und war Biologiestudent im ersten Semester.

Zane hatte per Mail mit ihm Kontakt aufgenommen, sie hatten Messenger-Nummern ausgetauscht und innerhalb weniger Tage ein freundschaftliches Verhältnis zueinander aufgebaut. Es war schnell klar gewesen, dass Zane das Zimmer in Jules‘ Wohngemeinschaft sicher hatte.

Und dann hatte Zane seinem Mitbewohner schließlich gegenübergestanden, an einem heißen Tag Mitte August. Verschwitzt von der langen Fahrt von Malibu nach Houston, wo er das Wochenende damit verbracht hatte, den Rest seiner Sachen zu packen.

Etwas gestresst vom Umzugsservice, den Maddison organisiert hatte. Und bepackt mit seinem Rucksack und einer Kiste voller Bücher, die er zehn Treppen mit viel zu vielen Stufen hochgeschleppt hatte.

Zane wusste, dass er alles andere als den perfekten ersten Eindruck geboten hatte, aber das war im Moment ihrer ersten Begegnung fast nebensächlich.

Julian hatte mit locker verschränkten Armen im Türrahmen gelehnt und ihn scheinbar schon erwartet.

Er war süße zwanzig Jahre jung und gesegnet mit einem sonnigen Temperament, das ganz perfekt passte zu sonnengebräunter Haut, knappen Klamotten… und langen, blonden Haaren.

Julian war nämlich eine Julie-Ann.

Und zu Zanes Leidwesen war Julie-Ann auch noch verdammt sexy.

Sie hatte ihn mit belustigtem Lächeln im Gesicht angesehen und ihn gefragt, ob sie ihm irgendetwas abnehmen könne. Grün funkelnde Augen hatten ihn dabei knapp von oben bis unten gemustert.

An seinem sonnengebräunten Nacken hatte Julie-Anns Blick sich für wenige Sekunden verfangen, dann hatte sie sich jedoch wieder gefangen und ihm ins Gesicht gelächelt.

Überrumpelt von ihrem Erscheinungsbild und unfähig zu irgendeinem Wort, hatte Zane nur stumm genickt und ihr seinen Rucksack überlassen, ehe er fluchtartig wieder nach unten gestürmt war, um beim Entladen des Umzugswagens zu helfen. Und um Jules nicht noch eine Sekunde länger anzustarren und dabei an all die Dinge zu denken, die er ihr in nächtelangen Gesprächen via Messenger anvertraut hatte… in der felsenfesten Überzeugung, sie wäre ein Mann…

Das hatte er sich anders vorgestellt.

Ganz anders.

Er hatte eine Männer-WG gewollt, und eventuell, gestand er sich widerwillig ein, hatte er sogar gehofft, in seinem Mitbewohner einen guten Freund zu finden. Einen Kumpel. Einen Mitverschwörer für abenteuerliche Wochenendpläne, spontane Ausflüge in die Natur oder nächtelanges, einvernehmliches Schweigen vorm Fernseher, wenn irgendwelche guten Filme liefen.

Er war erschüttert gewesen. In gutem Maße eventuell sogar entsetzt darüber, dass Jules sich als junge Frau entpuppt hatte.

Aber vor allem hatte es ihn aufgewühlt, mit welch selbstverständlicher Hingabe er ihr verfallen war. Ein Blick in ihre amüsiert funkelnden Augen hatte vollkommen ausgereicht, um sich ihn zu eigen zu machen. Und das Erschreckendste war, dass Jules sich vermutlich nicht einmal bewusst war, welch vernichtende Wirkung sie auf Zane ausübte.

Zane liebte ihren hinreißenden Südstaaten-Akzent. Und die kleinen Fältchen unter ihren Augen und um ihre Lippen, wenn sie lachte.

Ihre Art, sich mit den gespreizten Fingern ihrer linken Hand durch ihre weichen, hellen Haare zu fahren, wenn sie vor der Kaffeemaschine in der Küche stand und gedankenverloren in ihre Tasse starrte. Oder ihre ungespielte Begeisterung für alles, was Zanes doch noch recht stümperhaften Kochversuche hervorbrachten.

„Ich mag experimentelle Küche“, hatte sie gleich am ersten Abend angemerkt, als Zane sich erboten hatte, das Abendessen zu übernehmen.

Dann wirst du vermutlich noch eine Menge Freude an mir und meinen nicht vorhandenen Kochkünsten haben, hatte Zane gedacht und war ihrem Blick eilig ausgewichen.

Das erste gemeinsame Wochenende in ihrer kleinen WG lag nun beinahe hinter ihnen.

An diesem verschlafenen Sonntagmorgen Ende August hockte Zane am Küchentisch, rührte gedankenverloren in seinem Kaffee herum und versuchte vergeblich, nicht an den nächsten Tag zu denken. Er gab es nur ungern zu, aber ihm graute vor seinem ersten Tag an der Rice University.

„Und? Schon aufgeregt?“ Jules hockte sich ihm gegenüber, winkelte ihre Knie an und schlang die Arme um ihre nackten Beine.

Ihre blonden Haare waren noch vom Schlafen verwuselt, ihr langes Oversized-Shirt hing ihr von einer Schulter herunter und gewährte Zane einen dezenten, netten Einblick auf das, was sich unter dem dünnen Stoff verbarg.

Eilig wandte Zane den Blick ab. Er stand umständlich auf, fuhr sich mit der rechten Hand durch die dunkelblonden Haare und richtete den Blick auf etwas weniger Verfängliches als Jules‘ sanften Rundungen, die sich nur allzu deutlich gegen ihr Schlafshirt abzeichneten.

Trotz der allmählich erwachenden Sommerhitze, die sich schon in wenigen Stunden wieder zwischen den Häuserblocks stauen würde, war es noch angenehm kühl in der kleinen Küche. Das war einer der Gründe, weswegen es Zane hierher gezogen hatte. Die Küche war einer seiner Lieblingsplätze. Er hatte ohnehin nicht mehr schlafen können — und er hatte es nicht über sich gebracht, um halb sieben an einem Sonntagmorgen unter die Dusche zu springen und Jules damit aus dem Schlaf zu reißen, nur weil es ihn nach Abkühlung verlangt hatte.

„Heute Abend spielt die Hobbyband von einem meiner Cousins in so einem neueröffneten Club ein paar Straßen weiter“, merkte Jules an, während ihre Finger unsichtbare Kreis auf die glatte Oberfläche vom Tisch malten. „Hättest du eventuell Lust, ähm“, sie stockte kurz, gab sich dann einen Ruck und lächelte zu Zane herauf, „mich zu begleiten?“

In ihrem Blick lag etwas Bittendes, das es Zane wirklich schwer machte, einfach „nein“ zu sagen.

„Weißt du“, fing er unbehaglich an, „eigentlich stehe ich nicht so auf Parties…“

Jules nahm die Unterlippe zwischen die Zähne und warf ihm dabei einen treuherzigen Blick zu. „Ach, bitte, Zane. Ich hab fest zugesagt, aber meine beste Freundin hat heute Abend spontan doch was anderes vor“ – für einen Moment flackerte Jules‘ Blick, doch dann hatte sie sich wieder gefangen – „und ich würde ungern allein hingehen.

Ich kenn mich schließlich kein Stück in der Gegend aus, und wenn ich verloren gehe…“

Zane schnaubte. „Das ist miese Erpressung, weißt du das?“

„Nein“, blinzelte Jules ihm unschuldig zu, „das ist reine Taktik, um dich aus deinem Schneckenhaus zu locken. Nun sag endlich ja!“

Zane wich ihrem Blick unbehaglich aus. Ohne festen Entschluss schob er seinen Stuhl zurück und erhob sich, die Kaffeetasse fest in beiden Händen.

Jules‘ Blick folgte jeder seiner Bewegungen. Sie erwartete eine Antwort von ihm. Zane spürte, wie seine Kehle eng wurde. Es gab kaum etwas, das ihm mehr widerstrebte als große Menschenmassen eingepfercht auf engem Raum mit wenigen Quadratmetern. Er hatte nie verstanden, was seine Mitmenschen so berauschend an abgestandener, klebriger Luft, nassgeschwitzten Körpern und dröhnender Musik mit zu viel Bass und zu wenig harmonischen Melodien fanden — aber auf der anderen Seite war es vielleicht eine Gelegenheit, die sich ihm nicht so schnell wieder bieten würde, um seine Mitbewohnerin mal von einer anderen Seiten zu erleben.

Eine Weile lang focht er den inneren Zwiespalt mit sich selbst aus, dann überwog der Part von ihm, der Jules unbedient näher kennen lernen wollte.

Also gab Zane sich mit tiefem Seufzen geschlagen. „Okay, meinetwegen. „

Jules stieß ein schlecht unterdrücktes Jauchzen aus, sprang von ihrem Stuhl auf und drückte Zane einmal kurz an sich. Für wenige Herzschläge spürte Zane den Druck ihrer festen Brüste an seinem Oberkörper, und er schnappte unwillkürlich nach Luft.

Im selben Moment löste Jules sich bereits wieder von ihm, lächelte ihn strahlend an und fragte im Geschäftston: „Magst du als Gegenzug dann eventuell Pancakes mit Syrup zum Frühstück?“

Über Zanes Lippen stahl sich ein ertapptes Grinsen.

Dazu konnte er einfach nicht „nein“ sagen.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Gedankenversunken lehnte Zane am geöffneten Fenster und starrte nach draußen in die hereinbrechende Nacht.

Der junge Abend hatte Regen mit sich gebracht, und der Regen die langersehnte Abkühlung. Zane hatte sein Gesicht dem grauen Himmel entgegengestreckt und die lauen Tropfen seine Haut benetzen lassen. Es hatte sich gut angefühlt.

Vor ein paar Stunden war der Regen weitergezogen, aber er hatte die drückende Luft in den Straßen angenehm heruntergekühlt und Zane genoss nun die laue Nachtluft, während er sich in seinen Erinnerungen verlor.

Erinnerungen, die er sich selten gestattete, seit er aus Malibu fortgegangen war. Erinnerungen an Alexa… und an das, was sie getan hatten.

Es war falsch, das wusste er. Nie hätte er zu träumen gewagt, dass es jemals wirklich geschehen würde, obwohl ihn dieser verfluchte Wunsch über so viele Monate hinweg gequält hatte. Und dann war es doch passiert — so plötzlich, so spontan, so unkontrollierbar.

Zane hatte nicht erwartet, dass das schlechte Gewissen ihn so fertigmachen würde.

Tief in sich spürte er eine glimmende Wut auf sich selbst und darauf, dass die Selbstbeherrschung ihn im entscheidenden Moment einfach verlassen hatte.

Der selbstvergessene Moment auf der Terrasse spukte durch seine Träume, suchte ihn nachts heim, ließ ihn sich in seinem Bett herumwälzen und im Schlaf gequält stöhnen.

Stets sah er seine Zwillingsschwester vor sich: Alexa im Schneidersitz auf einem der Hocker, mit nichts außer dunklen Jeansshorts und einem dünnen Oversizedshirt am Leib, vertieft in ihr Biologiebuch, vor sich eine Schale mit frischen Melonenstücken.

Der süße Saft rann ihr über die Lippen und benetzte ihre Zungenspitze, wenn Alexa gedankenverloren die feinen Tröpfchen von ihrer Haut leckte. Alexa, die ihm im Küchendurchgang nach draußen ungeschickt in die Arme stolperte, umhüllt vom sanften Duft ihres Lieblingsdeos und auf den Lippen noch immer der süße Saft der Melone. Alexa, auf ihren Knien vor ihm, mit vor Lust dunklen Augen und einem fast diabolischen Lächeln, das ihr im sommersprossigen Gesicht hockte.

Zane biss sich auf die Lippen.

Es war ein einziges verdammtes Mal gewesen. Ein einziges verdammtes Mal hatte er seinem Verlangen nachgegeben. Und sein Gewissen schien beschlossen zu haben, ihm das für den Rest seines Lebens zum Vorwurf zu machen. Seine Reue quälte ihn. Sie hätten nie tun dürfen, was auf der Terrasse geschehen war.

Sie hatten etwas Schreckliches getan. Etwas Abartiges. Etwas Unverzeihliches…

Vergeblich kämpfte er gegen die erdrückenden Schuldgefühle an, die seitdem schwer auf seinen Schultern lasteten.

Abwesend strich Zane über die Zigarettenschachtel in seiner linken Hand, öffnete sie und schob sich eine der langen, weißen Stangen zwischen die Lippen.

„Ich wusste gar nicht, dass du rauchst. “

Aus seinen Gedanken gerissen, sah Zane überrascht auf.

Jules lehnte sich an den Fensterrahmen, um ihn ansehen zu können. Ertappt wich Zane ihrem neugierigen Blick aus. Jules kommentierte es mit verhaltenem Kichern.

„Das ist schon okay. Ehrlich!“, fügte sie hinzu und biss sich auf die Unterlippe. Im selben Moment wurde sich Zane der kleinen Schachtel in ihren zierlichen Händen gewahr. Jules registrierte seine sich aufhellende Miene mit belustigtem Funkeln in ihren koboldgrünen Augen. „Hast du was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“

Eigentlich stand Zane der Sinn mehr nach Alleinsein — aber vielleicht konnte Jules seine trübsinnigen Gedanken verscheuchen. Es brachte ihn nicht weiter, ständig über Geschehenes und Vergangenes zu sinnieren.

Rückgängig machen konnte er es ohnehin nicht.

Also schüttelte Zane knapp den Kopf und schon hockte Julie auf der Fensterbank, ein Fuß auf dem weißlackierten Brett, der andere knapp fünf Zentimeter über dem hölzernen Fußboden baumelnd. Jules fischte mit geübten Fingern eine der langen Zigaretten aus ihrer Schachtel und lehnte dann den Hinterkopf gegen den Fensterrahmen. Ihr Blick schweifte nach draußen, über den wolkenbedeckten Himmel Richtung nächtliche Skyline der Downtown Houstons.

„Irgendwie macht dieser Anblick mich melancholisch“, seufzte sie und drehte Zane den Kopf zu.

„Melancholisch?“, echote er verständnislos. Nachdenklich, vielleicht. Seinetwegen auch träumerisch. Aber melancholisch?

„Er erinnert mich an das, was ich hinter mir gelassen hab. “ Jules schmuggelte ein schwarzes Feuerzeug aus ihrem Dekolletee hervor. Zanes Blick verfing sich einen Moment lang zwischen ihren hübschen Brüsten. Die gebräunte Haut schimmerte samtig im Schummerlicht.

Zane spürte, wie ihm warm wurde. Leichte Röte zeichnete sich über seine Wangen ab, als er sich schließlich wieder unter Kontrolle hatte. Jules erwiderte seinen entschuldigenden Blick mit frechem Grinsen. „Hey, ich bin ein Mädchen, ich darf sowas. „

Darauf zog Zane vor, nichts zu erwidern.

Aber Jules schien ohnehin keine Antwort von ihm zu wollen. Mit verträumtem Blick blies sie sanft über das Filterende ihrer Zigarette, um eventuelle Glassplitter zu beseitigen.

Irgendein blödes Gerücht, das mal wer in Umlauf gebracht hatte, aber Jules schien es plausibel genug zu finden.

Sanft schob sie den Filter der Zigarette zwischen ihre lipglossig rosa schimmernden Lippen. Zane schluckte hart, als seine Fantasie ihm für einen Herzschlag lang unerwünschte Bilder vorgaukelte. Nein, das war jetzt wirklich kontraproduktiv… Wie lautete noch gleich die Quadratzahl von 17? Zane biss sich auf die Lippen. Welch ironisches Déjà-vu.

Jules‘ Finger spielten um das Feuerzeug.

Kurz darauf kräuselte sich grauer Rauch in die angenehm abgekühlte Luft. Jules schloss die Augen und zog leise aufseufzend an ihrer Zigarette. Aus ihrem leicht geöffneten Mund quollen dünne Rauchfäden hervor, ehe Jules den Zigarettenrauch ihre Kehle kitzeln und anschließend ihre Kehle hinunterströmen ließ.

Und plötzlich saß da statt Jules auf einmal Alexa auf der Fensterbank und sah ihn aus halbgeschlossenen Augen lauernd an.

Durch Zanes Herz zuckte ein schmerzhafter Stich.

Er schnappte geschockt nach Luft, wich entgeistert vor seiner Zwillingsschwester zurück. Das war nicht möglich…

„Zane? Ist alles okay?“ Erschrocken beugte Alexa sich hervor, sodass ihm ihre runden Brüste aus dem viel zu engen Streifenshirt entgegenpurzelten.

Sie streckte die linke Hand nach ihm aus und war genauso plötzlich wieder Jules, wie sie sich in Alexa verwandelt hatte. Jules, die ihn halb verwirrt, halb erschreckt aus großen Augen anblinzelte.

„Du warst plötzlich so… so blass. Geht es dir nicht gut?“

„Doch“, krächzte Zane mit brüchiger Stimme. „Mir geht es ganz wunderbar…“

Eilig wandte er den Blick ab von seiner Mitbewohnerin. Ihm war die Lust auf seine Zigarette vergangen. Und zwar gründlich. Lustlos zog er ein letztes Mal am Filter und schnipste die Zigarette dann aus einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk hinaus in die Nacht.

Vielleicht würde er den Rest seiner Samstagnacht einfach mit Kopfhörern auf den Ohren und seiner Lieblingsband in voller Lautstärke auf seinem Bett verbringen und so tun, als gäbe es ihn gar nicht.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Das Mademoiselle's lag am Ende einer schmalen Seitengasse fernab des hektischen Lebens, das in den Straßen Malibus pulsierte.

Es war ein kleines Café mit drei Halbetagen und einer Galerie in französischem Charme und Fünfzigerjahre-Kaffeehaus-Chic, kitschig eingerichtet mit seinen lauschigen Sesseln und den gemütlichen Couchs vor schweren Ebenholztischen, dekoriert mit massiven Kerzenhaltern aus Messing und darin flackernden Wachskerzen… Die Fenster reichten vom Boden bis zur Decke und waren kunstvoll verhangen mit schweren Stoffvorhängen in Kaffeefarben, sodass man mit Leichtigkeit nach draußen sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Das Herzstück des Cafés bildete jedoch der imposante Kamin auf der ersten Halbetage, die man mittels einer knartschenden Holztreppe mit aufwändig gearbeiteten Geländer erreichen konnte. Im Winter prasselte stets ein wärmendes Feuer hinter dem hübschen Kamingitter, doch im Sommer diente der Kamin lediglich als hübsche Fläche für das Meer an Teelichtern, das sich auf ihm erstreckte.

Das Mademoiselle's war für seine selbstgebackenen, französischen Kuchen bekannt und erfreute sich vor allem bei älteren Damen und jungen Mädchen besonderer Beliebtheit.

Und selbstverständlich war es Mackanzies und Alexas erklärtes Lieblingscafé.

Hierher flohen die beiden Freundinnen vor ihrem Alltag, wenn sie des Dramas in ihrem Leben überdrüssig waren. Oder um pikante Geheimnisse zu erläutern.

Wie beispielsweise an diesem sonnigen Nachmittag Anfang September.

Mackanzie sah Alexa über den Rand ihrer großen Cappuccino-Tasse abwartend an.

Das tat sie bereits seit geraumer Weile, und es fiel ihr sicherlich nicht leicht, ihre Neugierde im Zaum zu halten.

Aber sie wollte Alexa nicht drängen, denn das führte zu nichts, wie die Erfahrung sie gelehrt hatte.

Alexa fühlte sich sichtlich unwohl, wie sie in ihrem Sessel kauerte, ihren Latte Macchiato mit Karamellaroma schwindlig rührte und weiterhin geflissentlich schwieg, während sie jeglichen Blickkontakt mit Mackanzie eifrig vermied.

Knapp drei Monate waren vergangen, seit Mackanzie ungewollt am Telefon jedes Wort mitangehört hatte, das zwischen Alexa und Zane gefallen war, als die Zwillinge jede Grenze der Moral überschritten hatten.

Drei lange Monate, in denen Mackanzie vergeblich versucht hatte, sich einzureden, dass sie da nur etwas falsch verstanden hatte. Dass ihre Erinnerung ihr nur einen blöden Streich gespielt hatte.

Aber irgendwann war Mackanzies anfängliches Entsetzen einer schleichenden Neugierde gewichen, und sie hatte begonnen, darüber nachzudenken. War es wirklich so verwerflich, was sie da aus Versehen mitangehört hatte? Gut, Zane und Alexa waren Zwillinge — aber noch vor einigen Jahrhunderten war es vor allem unter Adligen nichts Unübliches gewesen, einen Bruder mit seiner Schwester zu verheiraten, um die Linie „rein zu erhalten“.

Nicht selten hatte Mackanzie sich gefragt, woher die gesellschaftliche Ächtung für intime Begegnungen zwischen Bruder und Schwester in diesem Jahrhundert kam. Wie sie es auch drehte und wendete und auf den Kopf stellte, sie fand keine befriedigende Antwort darauf.

Aber sie ahnte, dass Alexa unter dem litt, was zwischen Zane und ihr vorgefallen war. Wider Erwarten hatte sich dieser Zustand nicht verbessert, als Zane vor einigen Wochen fortgegangen war, um den Sommer in Texas auf einer kleinen Rinder-Ranch zu verbringen, ehe er seine Studentenwohnung in Houston bezog.

Seit Zane fort war, verblasste Alexas Lebenslust mit jedem Tag ein bisschen mehr. Stattdessen gab sie sich mehr und mehr ihrer Melancholie hin, starrte abwesend in die Ferne und war kaum ansprechbar. Mackanzie hatte versucht, sie aufzumuntern, sie abzulenken, sie wieder zum Lächeln zu bringen — vergeblich. Alexas Traurigkeit war stärker als Mackanzies Versuche, etwas gegen zu unternehmen.

Und es bedurfte wahrlich keines Mathematikgenies, um zwei und zwei zusammenzuzählen: Alexa hatte Liebeskummer.

Nicht wegen Ethan, diesem hirnlosen Vollzeitidioten, der inzwischen ganz offen und schamlos mit der Schulmatratze Taylor Greene ausging. Das schien Alexa zu Ethans grenzenlosem Frust sogar herzlich egal.

Der Grund für Alexas Liebeskummer war Zane.

Mackanzie hatte Ewigkeiten mit sich gerungen, Alexa einfach darauf anzusprechen. Aber jedes Mal war sie war froh über jede Ausrede gewesen, die ihr eingefallen war, um diesem vermutlich unangenehmen Gespräch aus dem Weg zu gehen.

Sie hatte es aufgeschoben und hinausgezögert, bis es schließlich unumgänglich geworden war. Weil Mackanzie es einfach nicht länger ertragen konnte, Alexa so desinteressiert, gedankenverloren und traurig zu sehen.

Es war nicht so, dass Mackanzie nicht verstehen konnte, wie sehr Alexa ihren Zwillingsbruder vermisste — aber Alexa neigte zu Melodramatik, und zeitweilig gefiel sie sich in ihrer Rolle aus trübsalsblasende Prinzessin von und zur Erbse einen leichten Takt zu sehr.

Also hatte Mackanzie ihre beste Freundin vor wenigen Stunden unter einem Vorwand in ihrem schicken, obsidianschwarzen Mercedes von Zuhause abgeholt und nach einer ausgiebigen Shoppingtour quer durch Alexas Lieblingsläden waren sie schließlich hier im Mademoiselle's gelandet.

Alexa hatte sich gefühlte Ewigkeiten hinter der Kuchenkarte versteckt, aber irgendwann war eine adrett gekleidete Kellnerin aufgetaucht und hatte mit freundlichem Lächeln ihre Bestellung entgegengenommen. Und anschließend hatte es einfach kein Aufschieben mehr gegeben.

‚Augen zu und durch‘, hatte Mackanzie beschlossen und Alexa einfach direkt gefragt. Ohne Umschweife und langes Herumdrucksen.

Alexa rührte schon seit fünf Minuten wortlos in ihrem Glas herum und wagte nicht, ihre beste Freundin seit immer und für alle Ewigkeiten anzusehen.

In ihren Gedanken rauschte es.

Mackanzie wusste es also. Alexas schlimmsten Befürchtungen waren eingetroffen: Jemand hatte herausgefunden, wie es um sie stand.

Seit Alexa vor einigen Wochen nach ihrer verhängnisvollen Kollision mit Zane das Telefon auf dem Fußboden vorm Küchendurchgang zur Terrasse entdeckt hatte, plagten sie Angst und Entsetzen gleichermaßen. Sie wusste nicht, wie viel Mackanzie mitgehört hatte, und sie wagte nicht, ihre beste Freundin ganz unverfänglich danach zu fragen.

Vielleicht, hatte Alexa wider besseren Wissens die irrsinnige Hoffnung gepflegt, vielleicht hatte Mackanzie ja auch einfach sofort aufgelegt. Aus Trotz, weil Alexa sie so abrupt vergessen hatte. Oder weil sie wütend darüber war, dass Alexa ihr nicht mehr geantwortet hatte.

Vergeblich gehofft: Mackanzie hatte sich fast drei Monate lang nichts anmerken lassen, nur um Alexa dann ganz unvorbereitet mit der Tatsache zu konfrontieren, dass sie es wusste.

Alles. Von Alexas verbotenen Gefühlen für ihren Bruder bis hin zu der fatalen Begegnung auf der Terrasse.

„Ich… es ist so, weißt du…“, begann Alexa leise, den Blick konstant auf den Tisch gerichtet. So, als lägen dort all die Antworten auf die stummen Fragen, die zwischen Mackanzie und ihr im Raum schwebten. Alexa spürte all die ungesagten Dinge auf sie einstürmen, sie drückten ihr auf den Bauch und schnürten ihr die Kehle zu.

Es hatte Alexa gewissermaßen schockiert, dass Mackanzie sie so lange in Sicherheit gewiegt hatte, nur um ihr dann ohne Vorwarnung die Pistole auf die Brust zu setzen.

Aber irgendetwas in Mackanzies Augen sagte Alexa, dass sie es nicht böse meinte. Dass sie die Zeit gebraucht hatte, um nachzudenken. Um ihre eigenen Schlüsse zu ziehen und um herauszufinden, wie sie selbst dazu stand. Und in ihrem Blick lag keine Skepsis, kein Abscheu, keine Verachtung.

Mackanzie hatte ihre Entscheidung getroffen, und sie lautete keinesfalls Verurteilung. Oder gar das Ende ihrer Freundschaft, wie Alexa es insgeheim befürchtet hatte.

„Er fehlt mir“, murmelte Alexa ergeben.

Die zarten Hände um das Macchiato-Glas zitterten. Alexa biss sich auf die Lippen, aber es half nichts: Der Gedanke an ihren Bruder ließ sofort heiße Tränen in ihren Augen aufsteigen. Wütend blinzelte Alexa sie weg. Nein, sie wollte jetzt nicht heulen.

Schon gar nicht hier, außerhalb ihres Zimmers und ohne ihren Stoffteddy aus Kindertagen, der immer noch mit in ihrem Bett schlafen durfte, neben ihrem Kopfkissen unter seiner eigenen, kleinen Decke.

Zane hatte sich seit fast drei Monaten nicht mehr bei ihr gemeldet. Nachts lag Alexa wach und fragte sich, wie es ihm wohl ging, wie sein Sommer war, und ob ihm Houston gefiel. Vielleicht hatte er bereits die ersten Freundschaften mit seinen Kommilitonen geschlossen und die ersten Gemeinsamkeiten mit seinem Mitbewohner gefunden… oder aber, und dieser Gedanke ließ ihr Herz schmerzhaft gegen ihren Brustkorb sprengen, er hatte jemand kennen gelernt.

Eine Andere. Jemand, den er lieben und begehren durfte.

Ein Mädchen, dem all das zu tun und lassen erlaubt war, was Alexa auf Ewig verwehrt bleiben würde…

„Ich weiß, dass es schwer ist“, fing Mackanzie an. Alexa fand den verständnisvolle Ton in Mackanzies Stimme nur schwer zu ertragen, vergrößerte er doch nur unnötigerweise den harten Kloß in Alexas Kehle. „Aber was hast du davon, wenn du nur noch an ihn denkst? Dadurch wird es doch auch nicht leichter.

Alexa richtete den tränennassen Blick auf Mackanzie. Was sollte das werden? Vorwürfe waren das Letzte, was Alexa jetzt hören wollte…

Aber Mackanzie schien beschlossen zu haben, auf Alexas Wünsche keinerlei Rücksicht zu nehmen. Eindringlich sah sie Alexa an. „Es ist das Vernünftigste, ihn zu vergessen. Er ist dein Bruder, Süße, vergiss das nicht — das mit dir und ihm hätte ohnehin keine Zukunft. Und es gibt genug Menschen in Malibu, für die euer Geheimnis ein gefundenes Fressen wäre.

Für Ethan Williams, beispielsweise.

Für diverse Mädchen aus Alexas Jahrgang an der Malibu High School, die noch eine Rechnung mit ihr offen hatten, weil sie sich mit einem einzigen schüchternen Augenaufschlag den beliebtesten Footballspieler der ganzen Schule geangelt hatte.

Für all die abgewiesenen Verehrer, die sich in ihrem Stolz gekränkt fühlten, weil Alexa ihnen diesen arroganten Quarterback der Multiple Scorgasms vorgezogen hatte, der sich so schamlos an sie herangemacht und ihr den Himmel auf Erden versprochen hatte, wenn sie mit ihm ausgehen würde.

Und für Mackanzies Cousine Vienna Cummings, die Alexa vor zwei Jahren vom Thron des Cheerleading-Captains der Malibu High gestoßen hatte, als sie kurzfristig eingesprungen war, weil Vienna sich beim Training das Armgelenk angebrochen hatte und deswegen für das laufende Semester ausschied. Alexa, die mit süßen sechs Jahren mit Ballettunterricht angefangen hatte, jeden Morgen vorm Unterricht am Strand joggen ging und seit knapp einem halben Jahr zum Cheerleadersquad dazugehörte, hatte ihre verantwortungsvolle Aufgabe ohne große Mühe gemeistert und es war bald beschlossene Sache, dass sie Vienna als Cheerleading-Captain ablösen würde.

Nicht erwähnenswert, dass Vienna ihr diese Schmach ganz sicher nicht so schnell vergessen würde. Ganz zu schweigen von ihrem rachsüchtigen Zorn, den Vienna seitdem für das blondgelockte Puppengesicht mit dem unschuldigen Augenaufschlag schürte. Alexas kleines Geheimnis wäre bei Vienna in den denkbar schlechtesten Händen…

„Aber was ist, wenn es jemand herausfindet? Was tun wir dann?“, flüsterte Alexa erstickt.

Mackanzie atmete tief durch. Dieser Gedanke war ihr auch schon gekommen, und sie hatte ihn genauso eilig wieder beiseite geschoben, wie er sie heimgesucht hatte.

„Darum machen wir uns Gedanken, wenn es so weit sein sollte. Falls es überhaupt mal so weit kommt. Oder weiß sonst noch jemand Bescheid?“

Alexa schüttelte heftig den Kopf, sodass ihre weichen Engelslocken hin- und herwirbelten. „Nein. “

Woher auch? Alexa hatte stets darauf geachtet, sich durch nichts zu verraten, und Zane war ohnehin der einzelgängerische Außenseiter der Malibu High School gewesen — er hatte keine Freunde, die sein pikantes Geheimnis hätten herausfinden können.

„Euer Geheimnis ist bei mir sicher“, versprach Mackanzie. „Ich bring dich jetzt nach Hause, und dann suchen wir dir was Hübsches zum Anziehen, frischen dein verheultes Make-up ein bisschen auf und heute Abend gehen wir zusammen essen. Nur du und ich. Vielleicht bringt dich das ja auf andere Gedanken. “

Mackanzie sah Alexa aufmunternd an. Schniefend wischte Alexa sich über die tränennassen Augen und versuchte ein leicht verunglücktes Lächeln.

Was blieb ihr auch anderes übrig, als zustimmend mit den Schultern zu zucken?

„Einverstanden. „

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Das Restaurant, das Mackanzie ausgesucht hatte, war für Alexas eher mediterran orientierten Geschmack fast einen Hauch zu exotisch.

Aber Mackanzie hatte darauf bestanden, den Mädchenabend bei ihrem Lieblingsthailänder ausklingen zu lassen.

„Jetzt hab dich nicht so!“, stichelte Mackanzie und schob Alexa einfach in die gedämpfte Atmosphäre des Restaurants, ohne auf weitere Proteste ihrer besten Freundin einzugehen.

„Dieser Tag braucht einfach ein bisschen Kitsch. Und jetzt hör endlich auf, dich dagegen zu sträuben!“

Als *kitschig* würde Alexa das Restaurant vielleicht nicht gerade betiteln… Aber der Zauber singapurischer Nächte bereitete sich unverscheuchbar über ihr aus, kaum dass sie einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, und Alexa war umgehend von ihm gefangen genommen.

Ihr bewundernder Blick streifte die detailverliebt bemalten Wände, huschte beeindruckt über die abstrakten Figuren und Gemälde und war dem Flair der praktizierter Exotik schneller erlegen, als es ihr bewusst werden konnte.

Die einzelnen Tische standen in gemütlichen Nischen, überdacht mit dunklen Baldachinen, von denen mal hier, mal da vereinzelnd eine bunt bemalte Laterne herabhing. Kerzenlicht ließ das asiatische Flair des Restaurants schummerig, aber behaglich wirken.

Eine zierliche Kellnerin geleitete die beiden Freundinnen zu einem der verschwiegenen Nischentische. Immer noch staunend, ließ Alexa ihre Handtasche neben sich auf die Holzbank sinken, die mit zierlich bestickten Sitzkissen ausgestattet war.

Mackanzie saß ihr gegenüber und strahlte sie selbstzufrieden an. „Ich wusste doch, dass es dir hier gefällt. „

„Mh“, machte Alexa nur, aber da tauchte die Kellnerin erneut auf, um ihnen die Speisekarten zu überreichen, und ersparte Alexa damit irgendwelche Rechtfertigungen.

„Hast du schon mal das hier probiert?“, fragte Mackanzie und deutete auf eine der exotischen Vorspeisen. Alexa nahm die Karte näher in Augenschein und schüttelte kurz darauf langsam den Kopf.

„Das klingt… ähm, abenteuerlich. “

Um nicht zu sagen, unappetitlich: Marinierter Tintenfisch gehörte noch nie zu Alexas erwählten Lieblingsgerichten…

Aber Mackanzie schien heute fest entschlossen, mit sämtlichen Regeln von Alexa zu brechen, und kurz darauf hatte sie ihre beste Freundin erfolgreich dazu überredet, die halbe Vorspeisenkarte zu bestellen und auch dem köstlichen Pflaumenwein reichlich zuzusprechen.

Wie sie später nach Hause kommen sollten, war Alexa schleierhaft… Aber zugegebenermaßen dachte sie auch nicht länger als einen Herzschlag darüber nach.

Notfalls eben mit einem Taxi.

Die beiden Freundinnen probierten sich einmal quer durchs ausladend gedeckte Buffett, kosteten mal hier von den wirklich köstlichen Currys, mal da von den exotischen Fisch- und Fleischgerichten und fühlten sich anschließend zwar ziemlich vollgefuttert, aber auch ziemlich glücklich. Alexa spürte, wie sich eine schläfrige Zufriedenheit ihres Körpers bemächtigte, kaum dass sie mit leisem Seufzen in die weichen Kissen ihrer Bank zurücksank. Ihretwegen könnte sie jetzt ohne Umwege in ihr gemütliches Bett fallen und umgehend ins Traumland hinüberdriften.

Allerdings hatte Mackanzie da bereits die Nachtischkarte entdeckt. Doch bevor Alexa der süßen Versuchung nachgeben und sich zu einer der unendlichen Köstlichkeiten bequatschen lassen konnte, quietschte Mackanzie unterdrückt auf.

„Oh mein Gott. Schau mal unauffällig rüber zum Nebentisch!“

Mit diskretem Blick deutete sie über Alexas Schulter. Dezent neugierig, drehte Alexa sich vorsichtig um. Am Tisch in der verschwiegenen Nische hinter ihr saßen zwei junge Männer in ungefähr ihrem Alter, die in ein leises Gespräch vertieft waren und weder Alexa noch Mackanzie bemerkt hatten.

„Lass uns mal kurz rübergehen“, beschloss Mackanzie unternehmungslustig und zog Alexa einfach mit sich mit.

„Hey!“, beschwerte Alexa sich halbherzig.

Dreistigkeit war seit jeher eine von Mackanzies herausstechenden Eigenschaften… Aber die selbstbewusste Lockerheit, mit der sie zum Tisch der beiden jungen Männer schritt, überraschte Alexa nun doch.

„Hey, ihr beiden. Ist ja lustig, euch hier zu treffen! Dürfen wir uns kurz zu euch gesellen?“ Mackanzies Stimme war zuckersüß.

Mit der linken Hand spielte sie an einer brünetten Strähne herum, während sie die beiden jungen Männer abwartend anlächelte. Alexa ahnte plötzlich, was Mackanzie vorhatte…

Der Blonde deutete einladend auf den Platz neben sich, während er sie freudig überrascht angrinste. „Hey, Kensie. Was treibt dich denn hierher?“

Oh, ernsthaft? Alexa schloss für einen Moment die Augen. Smalltalk. Wie sehr sie das verabscheute! Ganz zu schweigen von dieser grenzenlos intelligenten Frage…

„Darf ich vorstellen?“, deutete Mackanzie auf die beiden Männer, „das sind Shawn und Lawrence.

„Alexa“, murmelte Alexa ergeben und ließ sich auf Mackanzies aufforderndes Winken widerwillig neben den Dunkelhaarigen fallen, den Mackanzie ihr als Lawrence vorgestellt hatte.

Unnötig zu erwähnen, dass Alexa auf einmal große Sehnsucht nach ihrem Bett verspürte… Plötzlich fühlte sie sich sehr, sehr überflüssig. Mackanzie war unlängst in ein angeregtes Gespräch mit dem Blonden, Shawn, versunken. Sie schienen komplett vergessen zu haben, dass es Alexa und Lawrence gab.

Lawrence hockte neben Alexa, schwieg genauso hartnäckig wie sie, warf ihr jedoch immer wieder flüchtige Blicke zu. Unter ihnen wurde Alexa sichtlich warm. Die unangenehme Stille zwischen ihnen machte sie nervös. Verzweifelt suchte sie nach einem Gesprächsthema, um die Anspannung auszugleichen. Egal was, Hauptsache, dieses schwer erträgliche Schweigen hörte auf.

Aber je mehr sie sich verkrampfte, desto weniger Ideen kamen ihr, worüber sie reden sollte.

Das Wetter? Das war in Malibu ziemlich konstant: Sonne im Frühling, Sonne im Sommer, Sonne im Herbst, Sonne im Winter.

Und selten unter 30 Grad Fahrenheit.

Die High School vielleicht? Ja, ganz bestimmt. Weil Lawrence ja auch kein Stück so aussah, als hätte er das längst hinter sich und stattdessen schon zwei, drei Jahre College-Erfahrung im Gepäck!

Das College etwa? Lawrence interessierte sich als Mann auch ganz sicher für Alexas Modedesign-Studium und ihre Schnittmuster, Stoffe und Näharbeiten. Studierte er überhaupt? Oder gehörte er zu denjenigen, die nach der High School sofort einen Job gefunden hatten und seitdem von neun bis siebzehn Uhr unermüdlich schufteten?

„Alexa, richtig?“, riss Lawrence sie da aus ihren Gedanken.

„Du hast dieses Jahr deinen Abschluss an der Malibu High gemacht. „

Überrascht, dass er darüber Bescheid wusste, nickte Alexa langsam. Über Lawrences Lippen spielte ein kleines, freches Grinsen. Es ließ ihn verwegen wirken. Eilig wich Alexa seinem Blick aus, unter dem ihr sichtlich warm wurde.

„Ich hab dich auf der Abschlussfeier gesehen“, erklärte Lawrence, und fügte auf Alexas irritiertes Blinzeln hinzu: „Meine Schwester war in deinem Jahrgang.

„Ah“, machte Alexa wenig intelligent und schalt sich im selben Moment selbst für ihre Einsilbigkeit. Lawrence musste sie ja zwangsläufig für eine Langweilerin halten. Eine trübe Tasse. Eine gegen Spaß allergische Spielverderberin.

Aber so schnell ließ Lawrence sich scheinbar nicht von ihrer wortlosen Verstocktheit erschüttern.

Mackanzies Absichten hingegen waren ziemlich durchschaubar: Alexa musste Zane vergessen, und was half gegen Liebeskummer aller Eigenart am Effektivsten? Ganz genau: Ein romantisches Liebesabenteuer mit einem gutaussehenden Mann.

Mackanzie fand nämlich, dass es einfach überfällig war, Alexa aus dieser kontraproduktiven Stimmung herauszuziehen. Notfalls eben auf die offensive Art.

Und Lawrence sah wirklich unverschämt gut aus, musste Alexa ihm zugestehen. In seinen hellblauen Augen lag ein unwiderstehlicher Charme, der sie sofort in seinen Bann zog.

Seine kurzen dunklen Haare hatte er mit etwas Gel verwuselt, sodass sie unordentlich in alle Richtungen standen, und seine sonnengebräunte Haut verriet ihr, dass Lawrence viel Zeit an der frischen Luft verbrachte.

Vermutlich als Surfer oder Schwimmer im Meer des Nordpazifiks, der an Malibus Küste brandete. Oder als Basketballer auf den Sportplätzen in der Nähe vom Strand.

Wenn Lawrence lächelte, spielten zwei süße Grübchen um seine Mundwinkel und in seinen Augen spiegelte sich sanfter Spott. Alexa mochte dieses Lächeln auf Anhieb.

Selbst wenn da irgendwo stets der fade Beigeschmack von Mackanzies unausgegorenen Verkupplungsplänen lauerte.

Lawrence spürte Alexas Zögern sehr wohl, und lenkte das Gespräch in unverfänglichere Richtungen.

Er erkundigte sich höflich nach ihren Plänen für die nähere Zukunft, hakte interessiert nach, wenn sie ins Stocken geriet und lachte herzlich über ihre schusseligen Missgeschicke, über die sie ihm mit einem kleinen, selbstironischen Lächeln berichtete.

Als Mackanzie schließlich zum Aufbruch drängte, weil sie müde war und der Pflaumenwein allmählich seine etwas unschönen Nebenwirkungen auf Shawn zeigte, fühlte Alexa zu ihrer eigenen Überraschung fast ein wenig Bedauern für den anstehenden Abschied von Lawrence.

Amüsiert beobachtete sie, wie Mackanzie sich vergeblich gegen Shawns aufdringliche Zuneigung zur Wehr setzte, bis Lawrence schließlich beherzt eingriff und sich seines liebestollen Kumpels annahm.

„Du brauchst jetzt keinen Pflaumenwein mehr“, beschwichtigte er den lamentierenden Shawn gutmütig. „Das, was du jetzt am Meisten brauchst, ist dein Bett. „

„Aber“, hob Shawn zu Protesten an, warf Lawrence einen Schmollblick zu und verschränkte trotzig die Arme vor der muskulösen Brust.

Alexa musste sich das breites Grinsen verbeißen, das sich unbedingt auf ihren Lippen ausbreiten wollte.

Shawn leistete zwar noch ein wenig Widerstand, da er sich am Liebsten noch durch die halbe Spiritousenkarte probieren wollte, wenn ihm schon Mackanzies weichen Brüste stiften ging, aber irgendwann war es geschafft: Die Rechnungen waren beglichen, ein Taxi für Alexa und Mackanzie war bestellt, Shawn schlummerte auf der untersten Treppenstufe gegen eine mächtige Löwenstatue gelehnt vor sich hin, Mackanzie hatte ihren Blick konstant auf ihr Smartphone gesenkt und tat wahnsinnig beschäftigt… und Lawrence steckte Alexa mit verschwörerischem Kavalierslächeln unauffällig seine Messengernummer zu.

„Falls du unser Gespräch irgendwann vertiefen möchtest“, murmelte er und sah Alexa mit seinem charmanten Lächeln direkt in die Augen. Über Alexas Wangen huschte ein zarter Rotschimmer. Eilig senkte sie den Blick und hoffte dabei inständig, dass Lawrence nichts bemerkte. Zu ihrer Erleichterung ersparte ihr die Ankunft des Taxis eine Antwort.

„Das wird auch Zeit“, gähnte Mackanzie und streckte sich. „Ich will endlich raus aus diesen Schuhen…“

„Das lässt sich einrichten, Babe“, murmelte Shawn im Halbschlaf und schnarchte einmal laut, zuckte dann fürchterlich zusammen und richtete sich erschrocken auf.

Alexa warf ihm nur einen Schulterblick zu und zuckte dann ratlos die Achseln, aber Lawrence meinte mit angedeutetem Kopfschütteln: „Keine Sorge, um den kümmere ich mich. „

„Wunderbar“, seufzte Mackanzie und ließ sich auf die Rückbank des Taxis sinken, das vor ihnen hielt. „Worauf wartest du dann noch, Alexa? Ich will endlich nach Hause!“

„Ich komm schon“, murmelte Alexa und sah Lawrence noch einmal mit schüchternem Lächeln an, unsicher, was sie sagen sollte.

Vielleicht etwas Unverbindliches? Nein, das erschien ihr nicht angebracht. Eventuell etwas Kokettes? Das Problem damit war nur, dass Lawrence das gegebenenfalls auch falsch verstehen konnte, und sie wollte nicht forsch erscheinen, oder sich gar vor ihm lächerlich machen…

Alexa war noch völlig vertieft in ihre Gedanken, als Lawrence einfach ihre linke Hand nahm und an seine Lippen führte. „Ich wünsche dir eine gute Nacht, kleine Alexa. „

Erneut blühte sanfte Röte auf ihren Wangen auf, aber diesmal schlug Alexa den Blick nicht nieder.

Kühn streckte sie sich vor, drückte Lawrence für die Dauer eines Herzschlags an sich und murmelte: „Dir auch eine gute Nacht, Lawrence. “

Dann drehte sie sich eilig um und hüpfte zu Mackanzie auf die Rückbank vom Taxi. Galant schloss Lawrence die Tür und winkte dem davonfahrenden Minivan noch einen Augenblick lang nach, ehe er sich Shawn schnappte und dafür sorgte, dass der wohlbehalten in seinem Bett landete. In seinem eigenem.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Der kalifornische Spätsommer zeigte sich von einer seiner schönsten Seiten: Leuchtender Sonnenschein erstreckte sich über sanfte Hügellandschaften, streichelte das sich langsam verfärbende Laub an den Bäumen und tauchte das Meer in ein tiefes, sattes Blau, das Lust zum Schwimmen machte.

Die extreme Augusthitze war unlängst abgeklungen, aber noch hielten sich die sanften Ausläufer der Sommerwärme in den Straßen und Gassen Malibus.

Mitte September begannen für Zane die ersten Projektarbeiten, aber zwischen all den Recherchen, den nächtelangen Diskussionen mit seinen Projektpartnern und den langen Partynächten, zu denen Jules ihn in fast regelmäßigen Abständen mit Engelszungen überredete, fand Zane schließlich eine Gelegenheit, um für ein langes Wochenende zurückzukehren in die Villa seiner Eltern. Es wurde Zeit, dass er die letzten Sachen mitnahm, die er vor knapp dreieinhalb Monaten zurückgelassen hatte, als er nach La Grange gegangen war, und die er auch bei seinem Umzug in die Studenten-WG nicht berücksichtigt hatte.

Es war nicht mehr viel, das noch in seinem ehemaligen Zimmer einlagerte: Hier und da ein paar verstaubte Kisten mit Büchern, vereinzelnd ein abgebautes Regal — und sein altes Bett samt Nachttisch, die Herzstücke des ansonsten gähnend leeren Raums. Zane fühlte sich sichtlich verloren in dieser staubbedeckten Ödnis, in der er fast sein ganzes Leben verbracht hatte.

Alexa war seit seiner Ankunft vor zwei Tagen unauffindbar.

Vielleicht, dachte Zane, hätte er sie vorwarnen sollen… Aber er war einem spontanen Impuls gefolgt, als er kurzfristig beschlossen hatte, seine vier freien Tage hier unten im Süden Kaliforniens zu verbringen, und er hätte ohnehin nicht gewusst, was er Alexa hätte schreiben sollen. Der Kontakt zu ihr war in dem Moment abgebrochen, da Zane der Caploe-Villa den Rücken gekehrt hatte, um seinen Sommer fern von seiner Schwester auf einer texanischen Ranch zu verbringen.

Einige Male hatte Zane mit sich gerungen, Alexa wenigstens eine Mail zu schicken. Doch in La Grange hatte er wenig Gelegenheit gehabt, an sie zu denken, und seit seinem Umzug war so vieles passiert, das sein Leben grundlegend verändert hatte… Wenn er ehrlich zu sich war, dann graute es Zane vor dem Moment, da er Alexa von Jules würde berichten müssen. Und davon, dass… Nein, den Gedanken verdrängte er lieber ganz schnell wieder.

Jules war auf einem Wochenendtrip mit ihrer besten Freundin, und ohne sie erschien Zane ihre gemeinsame WG plötzlich sehr leer. Fast genauso leer wie nun sein ehemaliges Zimmer, in dem er sich nur zum Schlafen aufhielt. Die meiste Zeit verbrachte er mit seinem Laptop draußen auf der Terrasse, arbeitete an seinem Projekt oder genoss einfach nur die ungewohnte Ruhe in dem weitläufigen, furchtbar romantischen Rosengarten, der fast übergangslos an die mediterran gestaltete Terrasse und den Pool anschloss.

Eigentlich neigte auch Alexa dazu, hier ihre müßigen Stunden zu verleben. Vielleicht, gestand Zane sich ein, hatte er nur deshalb diesen Platz zum Recherchieren gewählt: Er hoffte unterbewusst, dass Alexa ihm hier früher oder später doch noch über den Weg laufen würde.

Sie konnte ihren Bruder schließlich nicht ewig meiden.

Dessen war sich auch Alexa bewusst, als sie sich an diesem lauen Sommerabend vom Fenster abwandte, um sich in ihrem begehbaren Kleiderschrank zu verschanzen.

Das tat sie immer, wenn sie nachdenken musste.

Eine geraume Zeit lang hatte sie vor den Fenstern zum Balkon gekauert, an den ihr Zimmer angrenzte, um ihren Bruder verhalten von ihrem Versteck aus zu beobachten.

Er war in irgendwelche Mails vertieft und hatte scheinbar noch nicht gar bemerkt, dass seine Schwester von ihrem Shoppingtrip mit Mackanzie zurückgekehrt war. Das war vielleicht auch ganz gut so, denn damit ließ sich ihre Begegnung noch etwas weiter herauszögern.

Alexa gestand es sich nicht gern ein, aber sie hatte Angst vor dem Moment, da Zane ihr wieder in die Augen sehen würde…

Heute Abend feierte der beliebteste Club ganz Malibus seine Neueröffnung, und Alexa brauchte dringend ein neues Kleid dafür. Wenn Mackanzie sie schon regelrecht bekniete, mit ihr dorthin zu gehen.

„Lawrence wird auch da sein“, hatte sie versucht, Alexa zu ködern. „Ach bitte, Alexa… das wird bestimmt lustig!“

Was war Alexa da anderes übrig geblieben, als sich geschlagen zu geben? Doch inzwischen bereute sie, der bevorstehenden Party zugesagt zu haben.

Ihr stand der Sinn plötzlich nicht mehr nach tanzen, trinken und Party machen… viel lieber hätte sie sich mit ihrem Teddy im Arm und der neusten Staffel ihrer erklärten Lieblingssendung in ihrem Bett vergraben und so getan, als gäbe es sie gar nicht.

Nur hatte Mackanzie schon seit jeher wenig Verständnis für solche melodramatischen Launen von Alexa.

„Ich hol dich um Punkt zehn heute Abend ab.

Und wehe dir, du bist dann nicht fertig!“, hatte sie gedroht und Alexa mit einem ihrer finstersten Blicke gestraft, als Alexa vorhin bei einem Glas Latte Macchiato im Mademoiselle's angemerkt hatte, dass sie vielleicht doch keine Lust auf die Party hatte.

Also hatte Alexa kleinlaut nachgegeben und im Stillen beschlossen, die Begegnung mit Zane lieber noch ein bisschen weiter aufzuschieben und stattdessen angefangen, über ihr Outfit für die Party nachzudenken.

Dummerweise war ihr dabei eingefallen, dass sie vor ein paar Wochen diese unglaublichen Manolo Blahnik Ankle Boots mit nietenbesetzten Absätzen entdeckt und sich umgehend in diese Schuhe verliebt hatte… Alexa hatte sich in den Kopf gesetzt, genau diese Ankle Boots heute Abend zu tragen.

Zu blöd nur, dass sie irgendwie… unerreichbar waren, im obersten Fach ihres begehbaren Kleiderschranks.

Alexa versuchte es trotzdem: Entschlossen streckte sie die linke Hand nach den Schuhkartons aus, die sie dort oben lagerte.

Mit der rechten Hand hielt sie sich an dem weißen Holz fest, während sie sich auf die Zehenspitzen stellte. Sie streckte sich, sie reckte sich, aber es half nichts: Sie kam einfach nicht an das Objekt ihrer Begierde heran.

Leise fluchend sank sie wieder zurück auf ihre Füße und starrte den dunklen Schuhkarton verärgert an.

Wieso hatte sie den nochmal so verdammt hoch und für sie unerreichbar verfrachten müssen?

Ach ja — damit niemand in diesem Haus und dieser Familie auf die dumme Idee kam, sich die teuren Manolos zu… „leihen“, nur um sie dann mit abgebrochenem Absatz oder Kratzer im Lack klimmklammheimlich wieder zurückzuschmuggeln und so zu tun, als wäre nichts gewesen.

Grollig schob Alexa sich den Nagel ihres linken Zeigefingers zwischen die Zähne. Eine Angewohnheit, die Mackanzie schier wahnsinnig machte.

„Deine Nägel, verdammt“, pflegte sie jedes Mal zu stöhnen und Alexa demonstrativ ihre eigenen perfekt manikürten Nägel unter die Nase zu halten. Was Alexa im Gegenzug dazu veranlasste, ladylike die Augen zu verdrehen und über großzügig über Mackanzies leidvolle Miene hinwegzusehen.

Es waren schließlich ihre Nägel! Sie konnte damit tun und lassen, was sie wollte.

Und gerade jetzt ärgerte sie sich. Da musste sie halt ab und an zu drastischen Selbstverstümmelungsmaßnahmen greifen! Egal, wie unbegreiflich ihrer besten Freundin das Selbstattentat auch erschienen mochte.

Alexa stieß geladen die Luft aus.

Da half nichts.

Entweder, sie schleppte den verdammt schweren Badezimmerhocker aus vergoldetem Metall aus dem Badezimmer die 216 Schritte zu ihrem Kleiderschrank und kletterte mit wenig schlechtem Gewissen und viel größerem aus Not geborenem Erfindungsreichtum auf das teure Alpakafell, das darauf gespannt war, und riskierte damit, für immer enterbt zu werden, weil sie Ava Caploes Lieblingsmobiliar zerstört hatte.

Oder sie bekniete ihren Bruder.

Mhm.

Schwierige Entscheidung.

Alexa wiegte den Kopf hin und her, starrte den Schuhkarton noch einmal böse an und entschied sich dann murrend für Letzteres.

Verdammt sei ihre blöde Cousine! Nur ihretwegen hatte Alexa ihre Lieblingsschuhe so gut versteckt. Nur ihretwegen musste sie jetzt ihrem Bruder unter die Augen treten… obwohl die letzte gemeinsame Nacht noch immer unausgesprochen zwischen ihnen stand.

Obwohl Zane einfach so fortgegangen war, ohne sich von Alexa zu verabschieden. Obwohl sie seit mehr als drei Monaten kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten…

Alexa atmete einmal tief durch, schnappte sich das letzte bisschen Mut, das sich irgendwo tief in ihr verbarg und hielt festen Schrittes auf ihre Zimmertür zu. Okay. Dann war es jetzt wohl so weit. Sie atmete einmal ganz tief durch, straffte ihre Schultern und drückte dann ihre Türklinke herunter.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Welch wundervolle Nacht für romantische Begegnungen… Alexa breitete lachend ihre Arme aus und drehte sich einmal um die eigene Achse. Den Kopf in den Nacken gelegt, lachte sie den Sternen entgegen, die ungezählt über ihr blinkten. Fehlte eigentlich nur noch eine Sternschnuppe, und alles wäre perfekt.

Vor einiger Zeit hatte Lawrence sie unter einem Vorwand von der Party entführt.

Sie schlenderten am nächtlichen Strand entlang, Alexa barfuß, die schwarzen Ankle Boots in ihrer rechten Hand, Lawrence an ihrer linken Seite, seine Jacke locker über seine rechte Schulter geworfen. Sie plauderten und lachten über Belanglosigkeiten wie das Wetter, die neusten Skandale der High Society, die ausgelassene Stimmung auf der Party, von der sie so Hals über Kopf geflohen waren.

Irgendwann blieb Lawrence einfach stehen und zog Alexa zu sich. Lachend drückte Alexa sich an seinen muskulösen Oberkörper, den Blick fest auf seine Augen gerichtet.

Sie war nicht mehr nüchtern, und zusätzlich ziemlich überdreht vom Tanzen. Wortlos sahen sie einander an.

Und da passierte es einfach: Ganz langsam näherte Lawrence sich Alexas Gesicht, bis ihre Lippen den letzten Abstand zwischen ihnen überwanden.

In Alexa stieg ein warmes Kribbeln auf, als sie Lawrences schüchternen Kuss schmeckte. Langsam legte sie ihm ihre Arme um den Nacken, wobei sie ihre Schuhe losließ, die mit weichem Geräusch im Sand aufkamen.

Alexas Hände gruben sich tief in Lawrences wuseligen Haare, die er heute Nacht offen und ohne jegliche Stylingprodukte trug. Sie konnte seinen Herzschlag spüren, der die Adern an seinem sehnigen Hals pochen ließ. Lawrence vertiefte den leidenschaftlichen Kuss, bis Alexa sich mit unterdrückten Keuchen aus seiner Umarmung wandte.

Mit leuchtendem Blick sah sie ihm in die Augen.

„Wir sollten das nicht tun“, flüsterte sie und klang alles andere als vernünftig.

Aber Lawrence, dem nicht entgangen war, was Alexa in dieser Nacht an Cocktails getrunken hatte, lächelte sie nur entschuldigend an und hauchte ihr einen zarten Kuss auf ihre linke Hand. „Nein, sollten wir nicht. Lass mich dich nach Hause bringen, kleine Alexa. Ehe dir noch etwas zustößt. “

„Du bist ein echter Gentleman“, seufzte Alexa, plötzlich viel nüchterner als vorhin bei ihrem ersten Kuss. „Ja, vielleicht sollte ich jetzt wirklich nach Hause.

Mein Bruder macht sich bestimmt schon Sorgen…“

Wie Recht sie damit doch hatte…

Zane war nicht sonderlich erfreut gewesen, als ihm statt Mackanzie vor einigen Stunden niemand geringeres als Lawrence gegenüber gestanden hatte, um Alexa abzuholen. Aus einem Impuls heraus war Zane versucht gewesen, Lawrence einfach die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Alexa hatte das jedoch mit ihrem Erscheinen zu verhindern gewusst. Das überraschte Lächeln auf ihren Lippen, kaum dass sie Lawrence im Türrahmen entdeckt hatte, gefiel Zane überhaupt nicht.

„Was machst du denn hier?“, hatte sie irritiert wissen wollen und war sich nervös mit ihrer linken Hand durch die langen blonden Locken gefahren, in die sie hier und da ein paar niedliche Holzperlen geflochten hatte.

„Mackanzie hat mich gebeten, dich hier abzuholen“, hatte Lawrence erklärt und Alexa charmant seinen Arm dargeboten. „Sie trifft uns auf der Party. “

„Oh, okay“, hatte Alexa nur erwidert und sich ohne zu zögern bei Lawrence untergehakt.

Genau den Moment hatte Zane als passend befunden, um sich unbemerkt zu verkrümeln. Er konnte diesen Typen in seinem dunklen Shirt, gegen das sich sein muskulöser Oberkörper nur allzu deutlich abzeichnete, schon jetzt nicht ausstehen. Was Alexa an diesem Kerl fand, war ihm unverständlich.

In einem Anflug von Eifersucht hatte Zane sich die gut bestückte Bar im Wohnzimmer vorgeknöpft und seinen einsamen Abend mit einer Flasche Tequila vertrieben, um nicht von der Ungewissheit in den Wahnsinn getrieben zu werden, die unangenehm an ihm nagte und knabberte.

Und sie wurde nicht besser, je länger Alexa fort blieb…

Es war weit nach Mitternacht, als Zane sein unsinniges Warten endlich aufgab. Mit wenigen Griffen schaltete er den Fernseher ab, durch dessen ödes Programm er sich gezappt hatte, auf der vergeblichen Suche nach Zerstreuung. In der Küche schnappte er sich eine Flasche stilles Wasser aus dem Kühlschrank und wollte sich auf den Weg in sein Zimmer machen — als das Schloss der Haustür plötzlich leise klickte und ihm verriet, dass Alexa soeben heimgekehrt war.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Lawrence hob lächelnd die linke Hand zum Abschiedsgruß.

Der verliebte Ausdruck in seinem Gesicht trieb Alexa die Röte auf die Wangen, und fast ein wenig scheu winkte sie zurück. Lawrence wandte als Erster den Blick ab, löste die Handbremse seines roten Ford Mustang Cabrios und ließ dann langsam die Kupplung kommen. Der dunkelrote Sportwagen rollte die kiesige Einfahrt hinunter, hielt am schmiedeeisernen Tor angekommen noch einmal kurz an und bog dann nach links ab, um in den Schatten der Nacht zu verschwinden.

Alexa atmete einmal tief durch, schwindlig vom Glück, das ihr durch die Adern strömte. Sie konnte noch immer kaum glauben, was passiert war. Lawrence hatte sie geküsst. Am Strand. Umrauscht von den sanften Ausläufern der Meeresbrandung und beobachtet von Abermilliarden blinkender Sterne und einem frech grinsenden Viertelmond am nächtlichen Firmament.

Alexa spürte ihrem wilden Herzschlag noch einen Atemzug lang nach, dann drehte sie sich um und hüpfte summend die wenigen Stufen vor der Haustür hoch.

Gedankenverloren schob sie ihren Schlüssel ins Türschloss und drückte sich dann gegen das hübsch verzierte Holz der mächtigen Haustür. Mit leisem Quietschen schwang die Tür auf und Alexa schwebte tanzend über die Schwelle in die imposante Eingangshalle der Villa.

Doch ihre Unbeschwertheit sollte nicht lange währen: Auf dem Weg in die Küche, wo sie sich noch ein kühles Glas Maracujasaft holen wollte, kollidierte sie fast mit ihrem Zwillingsbruder, der scheinbar schon auf sie gewartet hatte.

Sein Blick war finster, als er übertrieben höflich anmerkte: „Es war noch nie deine Stärke, dich an Absprachen zu halten, nicht wahr. “

Alexa blinzelte ihn perplex an, doch ihre anfängliche Sprachlosigkeit schlug nur allzu schnell um in Empörung. „Ach? Welche Absprache habe ich denn deiner geschätzten Meinung nach jetzt wieder gebrochen?“

„Du wolltest gegen Mitternacht wieder hier sein“, erklärte Zane gelassen, doch sein Blick sprach von den Gefühlen, die in ihm tobten: Sorge um seine jüngere Schwester, die sich in einem hautengen schwarzen Minikleid und schwarzen Schuhen mit viel zu hohem Absatz von einem ihm Fremden zu einer Party abholen ließ, von der Zane nicht wusste, wo sie überhaupt stattfand; Wut über ihre unbekümmerte Unzuverlässigkeit, mit der sie seinen Sorgen nur neuen Zündstoff lieferte – und Eifersucht auf diesen Typen, der Alexa einfach so entführte, ohne vorher ihren älteren Bruder angemessen um Erlaubnis gebeten zu haben.

Alexas Miene verschloss sich gegen all die stummen Anschuldigungen, die Zanes Blick ihr vorwarf.

„Das geht nicht nichts an“, murmelte sie und wollte sich an ihm vorbeischieben, doch da hatte Zane sie bereits gepackt und rücklings gegen die Wand gedrängt. „Ach ja? Du gehst mit irgendeinem dahergelaufenen Typen aus, den du nicht weiter kennst -“

„Du meinst wohl eher jemand, den DU nicht kennst“, fauchte Alexa mit wütend funkelndem Blick dazwischen, aber Zane ging gar nicht weiter darauf ein: „- und du kommst mehr als zwei Stunden zu spät zurück.

Aber mich geht das nichts an? Mich geht das nichts an?“

Seine Stimme klang gefährlich leise. In ihm tobten die Gefühle, das konnte Alexa nur allzu deutlich an seiner Miene ablesen. Sie erwiderte Zanes geladenen Blick mit bemühter Beherrschung. Am Liebsten würde sie sich einfach losreißen und ihm vorhalten, dass er sich gerade genauso verhielt, als wäre er der Vater, den sie nie hatte — aber im selben Moment verstand sie plötzlich, was sein wahrer Grund für diesen unerwarteten Zornesausbruch war.

„Ich habe mir Sorgen macht, verdammt noch mal!“ Zane spie ihr jede einzelne Silbe vor die Füße. Sein Atem ging heftig; seine Schultern hoben und senkten sich mit jedem harten Atemzug. Ein unkontrolliertes Zittern bebte durch seinen gesamten Körper. Alexa konnte seine Anspannung förmlich spüren.

„Ich weiß“, flüsterte Alexa ergeben und sah an ihm vorbei ins Leere. „Ich weiß das doch…“

„Alexa, sieh mich an.

“ Plötzlich war Zanes Stimme nur noch ein Hauchen.

Alexa kam seiner Bitte zögernd nach, verfing sich in Zanes verzweifeltem Blick, stieß tief in seine Seele hervor, las all die bitteren Gedanken und hoffnungslosen Wünsche — und dann geriet die Welt aus den Fugen.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Es hatte die Zwillinge in Zanes ehemaliges Zimmer verschlagen.

Der heftige Streit war wie ein reinigendes Gewitter über sie hinweggetobt, und ihre stürmische Versöhnung hatte Alexa sichtlich ausgelaugt.

Aneinander gekuschelt lagen sie nun auf seinem Bett, Alexas zierlicher Rücken an Zanes nacktem Bauch. Alexa war im selben Moment eingeschlafen, da ihr Kopf das weiche Kissen berührt hatte.

Zane spürte die Müdigkeit durch jeden seiner Muskeln dringen, aber noch hielt er sich wach. Lächelnd glitt sein Blick über Alexas nackten Schultern den Nacken hinauf zu ihren Locken, die im fahlen Mondlicht silbrig schimmerten. Zane lehnte seine Stirn gegen Alexas Hinterkopf und schloss versonnen die Augen.

Schlaf bemächtigte sich seiner, kaum dass er Alexas warme Hand auf dem Kissen ertastete.

Alexas gleichmäßiges Atmen verriet ihm, dass sie bereits durchs Traumland wandelte. Und es dauerte nicht lange, bis er sich ihr anschloss.

An den nackten Körper seiner zierlichen Schwester geschmiegt, seufzte Zane leise auf. Grobe Gedankenstreifen und lose Erinnerungsfetzen verwebten sich zu verworrenen Träumen, bis eine dominierende Erinnerung diese Traumnebel aufklarte.

Es war dieser verhängnisvolle Campingausflug mit der zehnten Klasse gewesen, auf dem vermutlich alles angefangen hatte.

Dieser ganze absurde, verrückte, surreale Schlamassel, der sich inzwischen sein Leben fluchte — all das hatte mit dieser einen verdammten Nacht am See begonnen, umgeben von nichts außer der wilden, ungezähmten, nackten Natur. Naja, und eben in der gehobenen Gesellschaft des partywütigen Jahrgangs von Zane und Alexa.

Es war eine angenehm laue Sommernacht mitten im Juli, die vor vielen Stunden einen fast unerträglich heißen Tag abgelöst hatte.

Und das ‚unerträglich‘ bezog sich nicht allein auf die Außentemperaturen, die langsam aber zielsicher auf Rekordwerte über 95 Grad Fahrenheit krochen…

Damals dachte Zane noch, es wäre nur eine dumme Schwärmerei, der er erlegen war. Eine harmlose Gefühlsverirrung, die ihn kurzfristig auf Trab hielt und sich dann ihr nächstes Opfer suchte. Nichts, um das er sich ernsthaft Gedanken machen müsste…

Hätte er geahnt, welch hohe Wellen seine anfängliche Schwäche für seine eigene Schwester noch schlagen würde, dann hätte er sich wohl umgehend einliefern lassen.

Oder Selbstmord in Erwägung gezogen.

Oder wenn er schon nicht sich selbst im nächstbesten Fluss ertränkt hätte, dann zumindest seine Gedanken mit dem Erstbesten an Hochprozentigem, das griffbereit stand und ausreichend Umdrehungen enthielt, um seinem Vorhaben innerhalb einer angemessen Zeitspanne gerecht zu werden.

So aber lag er des Nachts wach in seinem Schlafsack, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte mit bebendem Herzschlag gen Zeltdecke, während draußen der Wind über die Baumwipfel strich und leises Gekichere und Getuschel aus Richtung der Mädchenzelte zu ihm herüberwehte.

Immer wieder ertappte Zane sich, wie er gedankenverloren von Alexa träumte. Von ihren süßen Lippen, die sich zum Lächeln formten, das ihr so gut stand. Von ihren Augen, in denen stets dieser leise Schalk blitzte und von den verrückten Ideen sprach, die ihr soeben wieder durch den hübschen Kopf schossen. Von ihren honigblonden Locken, die ihr Porzellangesicht mit der koboldhaften Stupsnase so frevelhaft schön umspielten.

An Schlafen dachte damals niemand von ihnen: Durchgemachte Nächte kompensierten die Jugendlichen einfach mit Chillen in der Sonne, Dösen am nahen Strand oder ganz schlicht mit massenhaft Koffein in Form von Kaffee, Cola oder Engerydrinks.

Die sie dann fatalerweise mit Alkohol mischten, wie Zane mit angewidert verzogener Miene feststellte… Daraus sollte seine eigene Schwester noch in der darauffolgenden Nacht ihre ganz persönliche harte Lektion lernen.

Irgendwann gab Zane den Gedanken an Schlaf auf, rutschte aus seinem Schlafsack und fischte sich sein T-Shirt vom Vortag aus seinem Rucksack. Es war zwar getragen, aber noch akzeptabel, wie er nach kurzem Schnuppern herausfand. Seine Jeans lag irgendwo am Fußende seines Schlafsacks, aber Zane verspürte nur wenig Lust, danach zu suchen.

Seine dunklen Boxershorts mussten ausreichen. Er hatte ohnehin nicht vor, sich der Partymeute am See anzuschließen.

Zane tastete nach seinen Zigaretten und dem Feuerzeug und schlüpfte anschließend ins Freie. Kühle Nachtluft umfing ihn. Zane schloss die Augen und atmete einmal tief durch, ließ den Blick dann über die dunkle Ebene schweifen, auf der sein Jahrgang die Zelte aufgeschlagen hatte. Östlich plätscherte der kleine Flusslauf an ihm vorbei, der im See mündete, den seine Mitschüler als Ort für ihre ausgelassene Feier erwählt hatten.

Nördlich zeichneten sich die Wipfel eines finsteren Waldes gegen den wolkenverhangenen Nachthimmel ab.

Zane wählte den ausgetretenen Trampelpfad, der von den Zelten zum Flusslauf führte, wo er vor wenigen Stunden ein kleines Versteck entdeckt hatte: Flache Steine lagen einladend im knöcheltiefen Wasser, das lustig um sie herummurmelte — wie gemacht für seine Absicht, ein wenig Ruhe vor den Anderen zu haben. Tau benetztes Gras kitzelte die Sohlen von Zanes nackten Füßen, als er sich durch die niedrige Uferböschung kämpfte.

Geschickt erklomm er einen der größeren Steine im Fluss, winkelte die Knie an und atmete einmal tief durch. Wie friedlich die Natur sein konnte…

Versonnen nahm er eine der Zigaretten aus seiner Schachtel, betrachtete sie nachdenklich — und beschloss dann, dass diese Nacht viel zu schön war, um sie mit Zigarettenrauch zu verderben. Achselzuckend stopfte Zane die Zigarette zurück in die Schachtel, lehnte sich zurück und schloss entspannt die Augen.

So fand Alexa ihn vor.

Wie sie ihn hier entdeckt hatte, war ihm schleierhaft.

„Oh, hallo, Bruderherz“, strahlte sie ihn an, taperte einen Schritt auf ihn zu und glitt plötzlich aus. Ehe Zane wusste, wie ihm geschah, hatte er sie reflexartig aufgefangen, ehe ihre Stirn Bekanntschaft mit einem der Steine machen konnte.

„Zane, mein Retter“, seufzte Alexa hingerissen und blinzelte ihn aus tiefblauen Augen betörend an. Sie war halbnackt… und obendrein ziemlich betrunken, wie Zane ahnte, kaum dass Alexas erfreutes Lächeln über ihr hübsches Gesicht leuchtete.

Alexa drückte sich hemmungslos an ihn, sodass ihre weichen Brüste den dünnen Stoff seines Shirts streiften. Und ehe er etwas dagegen tun konnte, war ihr Gesicht dem seinen plötzlich ziemlich nah. Viel zu nah…

„Weißt du, dass sich die Sterne in deinen Augen spiegeln?“, hauchte Alexa.

‚Welche Sterne?‘, fragte Zane sich unterbewusst, aber eigentlich war es ihm gleich.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, sein ganzer Körper war angespannt, ein leises Zittern bebte in arhythmischen Abständen durch seine Arme und Beine.

Er konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen. Komplett unfähig, irgendetwas zu erwidern, starrte Zane seiner Zwillingsschwester in die Augen und betete inständig darum, dass sie seine Nervosität nicht bemerken möge.

Im selben Moment schmeckte er plötzlich ihre Lippen auf seinen. Es war nur ein sanfter Streif, ganz kurz nur. Aber es zuckte wie ein heißer Blitz durch Zane hindurch, der ihn unter Hochspannung setzte.

Sein Herz trommelte schmerzhaft gegen seinen Brustkorb und machte ihm das ohnehin schon schwierige Atmen nahezu unmöglich.

Mit stoßweise gehendem Atemzug und zitternd bis zur chinesischen Mauer hob Zane seine bleischweren Arme, um sie zaghaft um Alexas Hüften zu schließen.

Alexas Hände tasteten derweil seine Schläfen hinauf zu seiner Stirn und fuhren ihm nun zärtlich durch das schulterlange Haar, strichen es liebevoll zurück, wuselten es verspielt wieder nach vorne und zupften hier und da neckisch an einer der hellen Strähnen.

„Ich mag deine Haare“, hauchten ihre Lippen.

Lippen, die den seinen schon wieder viel zu nahe waren.

Zane spürte Alexas Atem warm über seine Oberlippe hauchen. Er roch irgendwie minzig nach irgendetwas Hochprozentigem. Pfefferminzlikör, tippte Zane. Alexa hatte eine nur schwer zu leugnende Schwäche für süße Liköre und sahnige Cocktails.

Im nächsten Moment war es ihm egal, was seine Schwester intus haben mochte: Alexa hatte ohne Vorwarnung den letzten Rest Abstand zwischen ihnen zunichte gemacht, der seit ihrem ersten zaghaften Kuss noch zwischen ihnen vorhanden war.

Zane spürte ihre weichen Lippen gegen seine drücken. Sein Pulsschlag raste inzwischen, und klar zu denken gab Zane in diesem Moment komplett auf. Nicht, dass es nicht ohnehin plötzlich so unwichtig war…

Seinetwegen hätte die Welt untergehen können. Alles, was ihm auch nur annähernd etwas bedeutete, lag soeben in seinen Armen und küsste ihn so hingebungsvoll, als gäbe es ohnehin keinen Morgen mehr.

Alexas Kuss, anfangs noch zärtlich und sanft, wurde immer fordernder.

Er schmeckte süß und aufregend, fast nach etwas Verbotenem. Vielleicht so, wie Zane sich die Früchte aus dem Paradiesgarten Eden vorstellte. Dieser Kuss versprach alles, was Zane sich in dem Moment vorstellen konnte: Wilde Abenteuerlust, zwei nackte, aneinander reibende Körper, ungestillte, nach Erlösung hungernde Leidenschaften – ungezügelter, stürmischer, hingebungsvoller Sex unter freiem Himmel…

Dieser verwegene Kuss war die Erfüllung seiner wildesten Träume.

Das stürmische Verlangen nach seiner Schwester überkam ihn so heftig, dass er ungestüm in den Kuss hineinstöhnte.

Sein hart aufgerichtetes Glied zuckte beinahe schmerzhaft gegen die viel zu engen Jeans. Er wollte Alexa in diesem Moment so sehr, dass es anfing, ihn physischer Qualen auszuliefern.

Alexa antwortete ihm mit elfenhaftem Kichern und als ob sie seine Gebete damit endlich erhören wollte, stieß sie ihre Zungenspitze neckend hervor, um damit seine Lippen auseinander zu schieben und in seine Mundhöhle dringen zu können. Und damit brachen Zanes letzten Dämme der Hemmung: Er packte Alexa mit beiden Händen an den Hüften, hob sie mit einem Ruck auf seine Lenden und küsste sie mit ungestümer Inbrunst und voller Verlangen zurück.

In dieser Nacht hätte alles geschehen können, dessen war sich Zane sicher.

Sie hätten im Schutz der Bäume den ausgelassensten, hemmungslosesten Sex ihres Lebens gehabt, während ihre Mitschüler sich keine zehn Schritte entfernt munter ins Koma soffen, quietschfidel um das Lagerfeuer tanzten oder in eigene vertraute Zweisamkeiten vertieft waren — Letzteres sogar im wahrsten Sinne des Wortes.

Anschließend hätten Zane und Alexa sich lachend in den Armen gelegen und sich geschworen, niemals auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, dass sie ihre Unschuld aneinander verloren hatten.

Es wäre eine Erinnerung gewesen. Eine, über die Alexa vielleicht den Nebel des Vergessens gelegt hätte. Auf jeden Fall eine, von der Zane gezehrt hätte, bis… ja, bis sie ihm eines Tages den Wahnsinn schmackhaft gemacht hätte.

Doch es war alles ganz anders gekommen, und im Nachhinein hasste Zane ihn dafür immer noch abgrundtief. Vielleicht wurzelte seine abgründige Abscheu gegen besagtes Individuum sogar in dieser ungewünschten Begegnung.

Aber wie dem auch sei, Fakt war: In genau demselben Moment, als Alexa sich atemlos von Zane löste, um mit ziemlich versautem Grinsen im niedlichen Puppengesicht vor ihm niederzuknien, stolperte ausgerechnet Ethan Williams in die Zwillinge hinein.

Ethan hatte die Zwillinge vermutlich mehr versehentlich denn aus böser Absicht unsanft auseinander gerissen. Allerdings reichte sein ungestümes Anrempeln vollkommen aus, um ihm schlagartig Alexas volle Aufmerksamkeit zu sichern. Mit leuchtenden Augen und einem erfreuten Lächeln strahlte sie ihn an.

Der Quarterback der Multiple Scorgasms war genauso voll wie der ganze Rest des zehnten Jahrgangs der Malibu High. Sein übel nach Alkohol riechender Atem schlug Zane unangenehm entgegen. Doch im Halbdunkel der Nacht schien Ethan ihn ohnehin nicht zu erkennen. Deswegen hob er nur fragend eine Augenbraue in Zanes Richtung, freute sich dann ausführlich über Alexas Anwesenheit und schlang sofort besitzergreifend einen Arm um ihre Hüften.

„Dich habe ich schon gesucht, Baby“, lallte er ihr mit breitem Grinsen zu.

„Ich hab da nämlich eine Frage an dich…“

„Oh“, kicherte Alexa mädchenhaft zurück und kuschelte sich an ihn wie vorhin noch an ihren Bruder. „Was möchtest du denn?“

Zane war sich damals schon ihrer Schwäche für diesen… diesen gehirnbefreiten Vollpfosten bewusst, aber in diesem Moment stach etwas tief in sein Herz, das ein unangenehmes Brennen in seinem Körper streute. Als hätte Zane da bereits geahnt, was diese Nacht noch so alles mit sich bringen würde an Unheil…

Es war die Nacht, in der Alexa ihre Jungfräulichkeit an den brünetten Quarterback der Multiple Scorgasms verlor.

Nein, Korrektur: Es war die Nacht, in der Ethan Williams, Vollzeit-Prolet und Hobby-Macho, berühmt-berüchtigter Jungfrauenjäger der Malibu High School, Alexandra Caploe ihrer Unschuld beraubte.

Ein Diebstahl.

Ein Raub.

Nichts anderes war Alexas erstes Mal.

Ethan hatte sie mit Alkohol abgefüllt, um sie willig zu machen und verging sich dann schamlos an ihrer naiven Schwärmerei für ihn.

Und Alexa ließ ihren älteren Bruder einfach stehen für diesen großmäuligen Aufreißer von Weiberheld.

Arm in Arm schwebte sie mit dem größten Gigolo des ganzen Universums davon — naja, eher torkelte -, um sich von ihm flachlegen zu lassen, und Zane sah ihr einfach nur hinterher, spürte dabei dem eklig schmerzhaften Brennen in seinem Herzen nach und fühlte sich elendig.

Am nächsten Abend berichtete Alexa ihrem Bruder mit dröhnenden Kopfschmerzen und vor Aufregung glühenden Wangen über alles, was in der Nacht zuvor noch geschehen war.

Im Flüsterton raunte sie ihm jedes kleinste Detail zu, dessen sie sich noch entsinnen konnte. Sie war so ausgelassen und überdreht, dass sie nicht einmal merkte, wie sehr Zane diese Information zusetzen.

Aber das hatte er nun von seiner ihn piesackenden Neugierde! Er hätte sie ja einfach nicht fragen müssen. Er hätte ja einfach jede stichelnde Andeutung und jede lockende Anspielung ignorieren können. Verdammt sei seine hart an Masochismus grenzender Wissensdrang bezüglich der horizontalen Abenteuer seiner Zwillingsschwester!

Grollig beugte Zane sich über die Schüssel mit Stockbrotteig, um auf die zähe Masse einzukloppen, für die Alexas und seine Arbeitsgruppe an diesem Abend zuständig war.

Die Gruppeneinteilung hatten ihre Lehrer völlig willkürlich beschlossen, und so kam es, dass Alexa und Zane in derselben Gruppe gelandet waren. Am Vortag waren sie für Geschirrspülen und Einkaufen zuständig gewesen, an diesem Abend kümmerten sie sich um die Verpflegung der Rasselbande.

Doch Alexa schien nicht so recht bei der Sache, starrte ständig abwesend in den Brotteig, statt ihn zu kneten, und warf hin und wieder auf sehr indiskrete Art hibbelige Blicke in die Richtung eines gewissen Footballspielers.

Irgendwann hatte Zane ihr Verhalten eben genervt… und er hatte wider besseren Wissens nachgefragt…

Es war ein Schlag ins Gesicht für ihn, als Alexa ihm ihre Entjungferung gestanden hatte. Sie war nie eins der Mädchen gewesen, die leicht zu haben waren.

Für Zane war Alexa immer so etwas wie eine Heilige, wurde ihm in dem Augenblick schmerzlich bewusst. Sie war ein reines, unverdorbenes Wesen, erhaben über jegliche Schuld dieser irdenen Welt, aber diese Reinheit hatte Ethan nun beschmutzt.

Ethan hatte damit in Zanes Augen etwas Unverzeihliches getan. Etwas, für das Zane ihn abgrundtief verachtete.

Dieser abgrundtiefe Hass, den Zane von da ab an für den ungeliebten Rivalen empfand, nagte fast noch unerträglicher an ihm als die lodernde Eifersucht… und die brennende Scham vor ihm selbst, weil er so verrückt nach seiner kleinen Schwester war. So unnatürlich verrückt nach ihr, so vernarrt in sie, so… ja, fast besessen von ihr.

Den ungestümen Kuss mit ihrem Bruder im Alkoholrausch, der ihrer Nacht mit Ethan vorausgegangen war, erwähnte Alexa nie mehr. Ganz so, als ob sie verdrängt hätte, dass sie Zane für einen Moment der Schwäche genauso sehr gewollt hatte wie er sie seitdem wollte.

Tief in sich wusste Zane auch, dass es das Beste war, und dass er sich daran ein Beispiel nehmen sollte. Dass es vollkommen abartig war, sich seinen kranken Begierden hinzugeben, statt ihnen Einhalt zu gebieten.

Doch statt ihm bewusst werden zu lassen, wie widersinnig es war, von seiner eigenen Schwester zu träumen, hatte dieser eine heimliche Kuss dem Feuer in ihm neue Nahrung geliefert.

In dieser verhängnisvollen Nacht im Zeltlager der zehnten Jahrgangsstufe der Malibu High School hatte Zander Caploe sich unsterblich in seine Zwillingsschwester verliebt.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Schweißgebadet schreckte Zane hoch.

Im ersten Moment fühlte er sich schwindlig. Brennender Durst quälte seine Kehle. Zane atmete tief durch, um Klarheit in seine wirren Gedanken zu bekommen. Wo war er hier eigentlich?

Orientierungslos ließ er seine Hand über das Bett tasten, bis er die Kante erreicht hatte. Ja, dieses Laken kannte er… war es seins? Dann musste das hier auch sein Zimmer sein…

Seltsam, er war überzeugt gewesen, in der freien Natur auf einer zur Hälfte luftleeren Matratze in einem engen Schlafsack im stickigen Zelt zu schlafen, das er vor Jahren einmal günstig im Outdoorshop erstanden hatte…

Grübelnd tastete Zane weiter.

Gut, wenn das hier nicht sein Zelt war, sondern sein Bett, dann musste hier irgendwo doch seine Wasserflasche stehen… ah, da! Erleichtert atmete Zane auf, als seine Fingerspitzen gegen den Plastikverschluss der Literflasche stießen. Er schraubte mit zwei Fingern den Verschluss auf, setzte den Flaschenhals an seinen Mund und trank in gierigen Zügen. Wischte sich anschließend mit dem Handrücken über die benetzten Lippen und schwang sich aus dem Bett.

Nächste Feststellung: Er war nackt.

Wieso war er nackt?

Benommen legte Zane eine Hand gegen seine dröhnende Stirn. Kopfschmerzen! Welch arges Graus!

Die Welt um ihn herum schwankte entsetzlich, und ihn plagte plötzlich das unwiderstehliche Bedürfnis, sich herzhaft zu übergeben.

Er würgte einmal probeweise und stellte fest, dass sein Hals sich unangenehm rau anfühlte. Ganz so, als hätte er seinen Magen bereits mehr als einmal auf die unangenehme Weise entleert… Wie seltsam, er erinnerte sich nicht im Dunkelsten daran.

Leise stöhnend drehte Zane sich einmal um die eigene Achse. Wenn er sich wenigstens daran erinnern könnte, wohin er seine Zigaretten geklüngelt hatte… Reflexartig griff seine linke Hand zu der Stelle auf dem Nachtisch, wo die Packung für gewöhnlich lag, doch — nichts.

Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu…

Und dann nietete ihn die Erinnerung wie ein Blitzeinschlag abrupt um: Alexa in ihrem hauchdünnen Sommerkleid — die verdammte Party, zu der sie unbedingt gewollt hatte — ihre Rückkehr nach Hause und die unvermeidliche Kollision in der Eingangshalle — ihr heftiges Wortgefecht, das in einen handfesten Streit eskaliert war — die hemmungslose Versöhnung, als sie der viel zu lange unterdrückten Begierde nachgegeben und sich rücksichtslos auf der cremefarbenen Ledergarnitur im Wohnzimmer geliebt hatten — und der Tequila.

Der verfluchte Tequila…

Bei dem Gedanken daran wallte eine Woge der Übelkeit in ihm auf. Wieso hatte er noch gleich herausfinden wollen, was vorgefallen war? Zane wünschte sich gerade nichts sehnlicher herbei als eine spontane Amnesie…

Verzweifelt biss Zane sich auf die Lippen, drehte sich dabei einmal um die eigene Achse und wurde sich des nackten Körpers gewahr, der bäuchlings auf seiner Bettdecke lag. Blonde Locken fluteten über den dunklen Stoff des Bettbezugs.

Alexa.

Nackt.

Oh verdammt.

Fassungslos sank Zane auf die Bettkante, den Oberkörper seiner schlafenden Zwillingsschwester zugewandt.

Eigentlich wollte er sich beherrschen, wollte sie einfach nur ansehen und sich wünschen, das alles wäre niemals geschehen.

Doch der unbezwingbare Drang, sie zu berühren, überkam ihn genauso abrupt und heftig wie vergangene Nacht, als er so unerwartet in sie gestolpert war.

Zane biss sich widerstrebend auf die Lippen. Und dann verlor seine Beherrschung die Überhand über ihn und ehe er sich gewahr werden konnte, was er da tat, hatte er Alexa bereits zärtlich mit den linken Fingerspitzen über ihren rechten Oberarm gestreichelt.

Sanfte Gänsehaut kroch über die warme Haut seiner Schwester und richtete die dünnen hellen Härchen auf ihren schlanken Armen auf. Über Zanes Lippen huschte unwillkürlich ein kleines Lächeln.

Sein Blick schwang über den schmalen Rücken seiner Schwester ihre sanft gerundeten Hüften hinab auf den zarten Po. Die samtige Haut schimmerte im fahlen Mondlicht, das durch das halboffene Fenster zu ihnen hereindrang.

Zane musste sich auf die Lippen beißen, um nicht begehrlich aufzustöhnen. Er wollte Alexa nicht wecken… und er wollte diesen Moment nicht kaputtmachen. Vorsichtig beugte er sich über seine schlafende Schwester, um ihr einen Kuss auf die Wange zu hauchen, ehe er sich wieder an sie schmiegte, mit seinen Fingern ihre Hände ertastete und an sie gekuschelt seine verwirrten Gedanken schweifen ließ.

Es dauerte, bis er wieder in den Schlaf fand.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Verschlafen stolperte Alexa die letzten beiden Stufen der marmornen Treppe herunter. Ihre nackten Füße tapsten leise auf dem kühlen Fliesenboden. Gähnend fuhr Alexa sich mit der Linken durch die blonden Locken, während sie die Eingangshalle durchquerte. Ihr auserkorenes Ziel war der Kühlschrank: Nach einer viel zu kurzen Nacht mit viel zu wenig Schlaf brauchte sie dringend Abkühlung in flüssiger Form.

Die Ernüchterung folgte allerdings auf dem Fuße: Kaum, dass die Kühlschranktür mit vernehmlichem Quietschen aufgeschwungen war und Alexas Blick erwartungsvoll in den gekühlten Raum glitt, wurde sie sich des fatalen Fehlers in ihrem Denken bewusst: Zane war übers Wochenende hier. Ergo war der Kühlschrank ein klein wenig… geplündert. Sage und schreibe drei abgelaufene Yoghurts, zwei übriggebliebene Stück Käse vom Vorabend und eine halbe Zitrone glotzten hämisch zurück. Das war doch wohl nicht…

Entrüstet schlug Alexa die Kühlschranktür wieder zu, marschierte zum Küchendurchgang in die Eingangshalle und wollte tief Luft holen, um nach ihrem Bruder zu brüllen.

Dieser verdammte, egoistische… Kerl hatte sich einfach frevellos an ihrem, IHREM!, Orangensaft gütig getan! Anders konnte Alexa sich den kläglichen Rest in der Plastikflasche nicht erklären.

Doch noch ehe sie nach Luft schnappen konnte, schlangen sich von hinten zwei liebevolle Arme um ihre Hüften und schon lag Zanes Kopf auf ihrer linken Schulter. Sein Kinn drückte gnadenlos auf ihren Muskel.

„Autsch“, beschwerte Alexa sich halbherzig.

„Das tut weh, weißt du?“

„Jap“, murmelte Zane in ihre Haare und knabberte dabei ein wenig an ihrem Ohrläppchen herum. Mal probieren, ob es ähnlich schmeckte wie seine erklärte Lieblingsregion von Alexas Körper. Oder ähnliche Reaktionen in seiner Schwester auslöste wie letzte Nacht, als er frivol den Spieß umgedreht hatte, um endlich herauszufinden, was ihn so sehr an ihren niedlichen Brüsten faszinierte.

Entrüstet schob Alexa seine Arme beiseite und verrenkte sich dann interessant in seinen Armen, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

„Was hast du mit meinem Orangensaft gemacht?“

„Ausgetrunken“, gab Zane grinsend zurück. „Du hast ihn so gedankenlos im Kühlschrank untergebracht, da konnte ich halt nicht widerstehen. „

„Du…“ Alexa schnappte empört nach Luft und wollte handgreiflich werden. Doch Zane, der ihr Verhalten in- und auswendig kannte, zog sie mit Nachdruck an sich, sodass sie für einen Moment das Gleichgewicht verlor und haltlos gegen ihn stolperte.

„Ich“, hauchte Zane und legte ihr liebevoll seine rechte Hand an die Wange.

Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, schmiegte Alexa sich gegen seine Handfläche.

In Zanes Blick lag etwas unausgesprochen Zärtliches, das schon letzte Nacht darin geglommen hatte. Alexa spürte, wie ihr Innerstes schier aufzublühen schien unter diesem Blick. Sie liebte ihren Bruder, wurde ihr schmerzlich bewusst. Aber es fühlte sich so gut an… so verboten gut. Dabei war es so falsch, meldete sich die schwache Stimme ihrer Vernunft irgendwo in den hintersten Winkeln ihrer Gedanken.

Alexa verdrängte diese Stimme einfach. Verdrängte sie, wie so vieles, das Anderen vermutlich als das Vernünftigste erschien. Sie wollte jetzt einfach nicht vernünftig sein…

Und Zane ebenso wenig, dem leicht lüsternen Lächeln nach zu schließen, das um seine Lippen spielte. Etwas, über das er kaum Kontrolle hatte. Alexa durchrieselte ein warmer Schauder, als ihr Bruder ihr mit fragend-aufforderndem Unterton ein „mh?“ zumurmelte. Ihr geheimes Zeichen. Vielleicht gar so etwas wie ein Codewort.

Auf jeden Fall reichte es aus, um zwischen Alexas Schenkeln die Lust erwachen zu lassen.

Alexa nahm verspielt die Unterlippe zwischen die Zähne und sah ihren Bruder mit kokettem Augenaufschlag an. Zane verstand dieses Zeichen und zögerte nicht lange, sie mit einem geübten Griff auf seine Arme zu heben. Er trug sie zur Küchenzeile, um sie auf der Anrichte neben dem Herd abzusetzen.

„Ich wollte das schon so lange tun“, wisperte er ihr ins Ohr.

„Was?“, flüsterte Alexa zurück, obwohl sie die Antwort genau kannte. Zane lachte dunkel auf. „Na, was wohl: Dich in der Küche flachlegen. Auf dieser Arbeitsfläche…“

Und mit diesen Worten sank er über sie.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

‚Genervt‘ war das Adjektiv, das Ava Caploe am Zutreffendsten beschrieb, und ‚Workaholic‘ war das perfekt passende Substantiv dazu.

Zu ihrer Verteidigung sei allerdings angemerkt: Es war nie Avas Wunsch gewesen, die liebende Hausfrau zu spielen, die für ihre geliebten Kinder ihren gut bezahlten Job aufgab und abends mit dem Essen aufwartete, sobald ihr geliebter Ehemann von der Arbeit nach Hause kam.

Aber sie hatte auch nie gelernt, was es bedeutete, einen Menschen zu lieben.

Ava war die Ältere von zwei Töchtern eines erfolgreichen Unternehmers und einer desinteressierten, psychisch kaputten Alkoholkranken. Aufgezogen von ständig wechselnden Kindermädchen, hatte sie früh gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Und sie war nie bereit gewesen, sich dem Willen ihres tyrannischen Vaters zu beugen und den Sohn eines seiner wieseligen Geschäftspartner zu heiraten, nur um sich dessen gewinnorientierte Treue zu sichern.

Aber wer war sie schon gewesen, sich gegen einen der mächtigsten Industriechefs in ganz Kalifornien aufzulehnen?

Avas Ehe mit James Caploe war beschlossene Sache, kaum dass die Mitgift ausgehandelt und diverse andere Bedingungen auf beiden Seiten geklärt worden waren.

Mit gerade einmal 22 Jahren war Ava Stokesberry an den zwei Jahre älteren Erben von Caploe Industries verschachert worden.

Auf eine pompöse Vermählung in Weiß, die in den Zeitungen als die Traumhochzeit des Sommers betitelt wurde, folgten Flitterwochen auf Hawaii, die nur zwei hehrenen Zielen dienlich waren: Den guten Ruf der Familie aufrecht zu erhalten — wofür Ava nichts weiter tun musste, als ihrem Mann brav zu gehorchen und dabei hübsch auszusehen — und den Fortbestand der Linie zu sichern, sprich: Einen Erben zu zeugen.

Doch dieser Aufgabe war Ava nicht gewachsen.

Als wohlerzogene Tochter, die sie stets gewesen war, ging sie als unberührte Jungfrau in die Ehe ein.

Auf den ganzen Bällen, Soirées und festlichen Anlässen, die zu ihrem Leben dazugehörten, hatte Ava nie die Möglichkeit gehabt, sich etwas von dem Wissen anzueignen, das für die Verführung ihres Mannes nötig gewesen wäre. Nicht einmal ein scheuer Kuss, beschwipst vom ersten, heimlich entwendeten Champagner, hatte sich in all den öden, trockenen Jahren als Debütantin und später als angesehene Dame der oberen Gesellschaft ergeben.

Und James, der Zwangsehe mit dieser verbitterten jungen Frau genauso abgeneigt wie andersherum, hatte seinerseits nie Interesse an sexuellen Zärtlichkeiten mit seiner frisch angetrauten Ehefrau ausgedrückt.

So blieb die Ehe lange unvollzogen.

Bis Ava eines lauen Sommernachts beschloss, dass sie ein Recht auf Selbstbestimmung hatte. Und darüber hinaus würde sie der an sie gestellten Erwartungen gerecht werden. Nur eben auf ihre eigene Art.

Es war ein angenehm warmer Spätsommertag in ihren Flitterwochen in einem hübschen Fünfsternehotel am Strand, der sich dem Ende neigte, und statt wie üblich nach kurzer Abendtoilette in eins ihrer hochgeschlossenen Kostüme zu steigen, um während des Abendessens das konservative Schmuckstück an James Caploes Seite zu mimen, schlüpfte Ava in das einzige Cocktailkleid, das sie noch besaß.

Nach der Verlobung hatte man ihren Kleiderbestand zunächst einmal drastisch reduziert, nur um ihn anschließend aufzufüllen mit den scheußlichsten Klamotten, die Ava je untergekommen waren: Züchtig, schlicht, konservativ.

Spießig. Ganz zu schweigen von hässlich. Hochgeschlossene Oberteile, formlose Röcke, schlichte Kleider und gerade geschnittene Hosen.

Figurkaschierende, langweilige, farblose Säcke.

Eben der Stil, den ein seriöser Geschäftsmann für seine Ehefrau bevorzugte.

Doch dieses eine einzige kleine Schwarze, mit tiefem Ausschnitt und verspieltem Schlitz an der linken Seite ihres Oberschenkels, hatte Ava retten können. Denn trotz aller Vorbehalte und Ablehnungen gegen James Caploe glomm irgendwo tief in Ava der schmale Hoffnungsschimmer, dass aus Vernunft doch noch Liebe werden könnte.

Eines fernen Tages. Vielleicht.

Es waren die Träume eines jungen Mädchens, das sein Leben noch nicht komplett aufgegeben hatte.

Lächerlich, im Nachhinein betrachtet.

In besagter Nacht setzte Ava Caploe alles auf eine Karte: Sie ließ ihre hüftlangen, dunkelblonden Haare offen, sodass sie ihr in sanften Wellen auf den Rücken flossen, tauchte ihre Lippen in ein sinnliches Dunkelrot und schlug dieses Mal den Rotwein nicht aus, den der charmante Kellner ihr zum Hauptgang des üppigen Abendessens anbot.

Erstaunte James das veränderte Verhalten seiner Frau, so ließ er es sich nicht weiter anmerken.

Er lauschte höflich ihrem belanglosen Geplauder über die Vorzüge eines großen, rosenberankten Gartens, den sie sich so sehr für ihr Eigenheim wünschte, lenkte dann galant das Gespräch beim Hauptgang auf seine eigenen Pläne für den kommenden Tag.

Die Begeisterung für Kulturelles war ihre einzige Gemeinsamkeit. Und James legte großen Wert darauf, seiner jungen Frau davon so viel wie irgend möglich zu bieten.

Ihre Beziehung lief zu dem Zeitpunkt noch auf einer respektvollen, wenn auch nicht unbedingt freundschaftlichen Ebene. Doch die kommende Nacht sollte tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen.

Als Ava an diesem noch jungen Abend zärtlich ihre linke Hand auf James rechten Oberschenkel legte, durchzuckte ihn tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde die Begierde nach dieser Frau an seiner Seite.

Es war nur ein einziger kurzer Moment, doch er reichte aus, um Ava an ihr Ziel zu führen.

In dieser Nacht teilten James und Ava Caploe zum ersten und einzigen Mal ihre Schlafstätte nicht als Fremde, die einander den Rücken kehrten, sobald das Licht erlosch, sondern als frisch verheiratetes Paar, das ungehemmt seiner ungestümen Leidenschaft nachkam.

An den Rest der Flitterwochen hatte Ava nur noch bruchstückhafte Erinnerungen.

Die Morgenübelkeit leistete ihr von Anfang an Gesellschaft — sie kam noch im selben Augenblick, da der nächste Tag vielleicht gerade einmal süße sechs Stunden alt war und Ava aus unruhigem Schlaf hochschrak.

Umgehend wurde sie sich ihrer Benommenheit bewusst und fand nicht einmal genügend Zeit zum Wachwerden. Haltlos stürmte sie ins Badezimmer und stürzte zur Toilette, wo sie sich herzhaft erbrach.

Mit zitternden Fingern betätigte sie die Spülung, wusch sich anschließend die Hände unter dem klaren, kühlen Wasserstrahl des hübsch ziselierten Wasserhahns und spülte sich den Mund gründlich mit Mundwasser aus, ehe sie nach ihrer Zahnbürste tastete und sich ausgiebig die Zähne putzte.

Dabei kreisten ihre Gedanken unablässig um eine einzige Frage: War es wirklich möglich, vom ersten ungeschützten Geschlechtsverkehr schwanger zu werden?

Die deutliche Artwort auf ihren vagen Verdacht erhielt Ava wenige Wochen später bei einer eher routinemäßigen Untersuchung bei ihrem Frauenarzt: Ja, es war in der Tat möglich — und Ava war wirklich guter Hoffnung.

Am 21. April im darauffolgenden Jahr erblickten die Zwillinge Alexander und Alexandra Caploe das Licht der Welt.

Damit hatte Ava ihre wichtigste Aufgabe als Ehefrau erfüllt und ihrem Ehemann den erhofften männlichen Erben geschenkt. Ab dem Zeitpunkt sah James Caploe es nicht mehr als notwendig an, mit der ihm angetrauten Frau ins Bett zu gehen und suchte seine Freizeitbeschäftigung lieber bei ein paar Runden Poker mit Freunden, gutem Wein, teuren Zigarren und in der Gesellschaft junger Frauen, deren Dienste er käuflich erwerben konnte und die ihm keinen seiner ausgefallenen Wünsche ausschlugen.

Ava war mit der Erziehung ihres Nachwuchses sichtlich überfordert, deswegen wurde ihr alsbald ein Kindermädchen zur Seite gestellt, und als die Zwillinge im Kindergartenalter waren, fing Ava an zu arbeiten und konzentrierte sich fortan auf ihre Karriere.

Aufgezogen von verschiedenen Kindermädchen und Tagesmüttern, hatten Alexa und Zane nie genügend Nähe oder gar Vertrauen zu ihren Eltern aufgebaut. Ihre Mutter war ihnen fremd, der Vater ohnehin kaum zuhause, und wenn doch, dann vergrub er sich in seiner Arbeit oder traf wichtige Geschäftspartner.

Aber Ava hatte auch nie gewusst, wie sie ihren Zwillingen begegnen sollte. Sie hatte ja selbst nie gelernt, wie eine liebevolle Mutter sich um ihre Kinder kümmerte. Geschweige denn wusste sie, wie sie ihnen Liebe entgegenbringen sollte – sie, die sie doch selbst von Kindermädchen großgezogen worden war, da ihre Mutter nie Zeit für ihre jüngere Schwester Maddison und sie selbst gefunden hatte.

Also hatte Ava es ihrem Ehegatten gleichgetan und sich um ihre Karriere gekümmert.

Und die Mühen hatten sich gelohnt: Nach knapp fünfzehn Jahren harter und nicht selten mühsamer Arbeit nannte Ava ein kleines, erfolgreiches Unternehmen in der Wirtschaft ihr eigen.

Für ihren Job flog Ava um die halbe Welt, stellte ihr Konzept den unterschiedlichsten Firmen vor und verbrachte ihre freien Tage damit, die ihr fremden Kulturen kennen zu lernen wie einst in ihren Flitterwochen mit James Caploe, ihrem Ehemann, der die Gesellschaft von leichten Mädchen der seiner Frau vorzog.

An diesem frühen Sonntagmorgen im September flog Ava für ein paar Tage zurück nach Kalifornien, um ein Abendessen mit hoffentlich zukünftigen Geschäftspartnern auf ihrer Terrasse neben ihrem geliebten Rosengarten zu organisieren und sich anschließend mental auf die Fortbildung vorzubereiten, die für den kommenden Freitag festgelegt war und die sie führen würde.

Morgens gegen halb acht landete Ava Caploe wohlbehalten am internationalen Flughafen von Los Angeles.

Sie verbrachte den noch jungen Morgen im geschäftigen Treiben der erwachenden Stadt, gönnte sich in einem der hübschen Straßencafés ein kleines Frühstück mit viel Kaffee und wenig Kalorien und nahm sich anschließend ein Taxi nach Malibu.

Ohne auch nur den Hauch dessen zu ahnen, was sie Zuhause vorfinden würde…

Arglos schloss sie die Haustür auf und fragte sich nebenbei unterbewusst, ob überhaupt jemand ihre Rückkehr bemerken würde. Alexa ließ schließlich keine Möglichkeit ungenutzt, ihren begehbaren Kleiderschrank mit viel zu engen Kleidern und hohen Schuhen aus den teuersten Boutiquen ganz Los Angeles Countys zu füllen, und Zander hatte sich vermutlich in seiner Wohnung in Houston in seinen Büchern vergraben und war nicht ansprechbar.

Dementsprechend überrascht reagierte Ava auf das leise Seufzen und Flüstern, das aus Richtung der Küche zu ihr drang.

Ava ließ die Haustür leise ins Schloss fallen, drehte sich geringfügig interessiert zum offenen Durchgang zur Küche — und ließ mit spitzem Aufschrei schockiert ihr schweres Gepäck los.

Mit schlecht verhohlener Bestürzung in den Augen starrte Ava Caploe auf ihre Zwillinge Alexa und Zane, die keine fünf Schritte von ihr entfernt auf der Arbeitsfläche der Küchenzeile entsetzt auseinander fuhren.

Gelähmt vor Schreck starrten die beiden Ertappten durch den offenen Küchendurchgang in die marmorne Eingangshalle, wo soeben zwei schwere Koffer mit lautem Geräusch auf dem polierten Boden aufschlugen.

To be continued…

lieben dank fürs lesen!

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